Artikel 5
so dicht war, dass nicht einmal mehr der Mondschein zu uns durchdringen konnte. Trockenes Laub knisterte unter unseren Stiefeln; Zweige zupften an unseren Kleidern und kratzten brennende Linien in unsere unbedeckte Haut. Ich stolperte, doch ehe ich noch Gelegenheit hatte, selbst einen Sturz abzufangen, hatte Chase mich schon wieder aufgerichtet.
Sie kamen näher.
Mein Herz donnerte, und trotz der kalten Märzluft benetzte Schweiß meinen Haaransatz. Das pulsierende Jaulen der Sirenen bohrte sich durch die Barriere aus Bäumen und Atemgeräuschen, die auf meine Trommelfelle eindroschen. Blaue Lichter malten flackernde Streifen zwischen die hohen, schwarzen Schatten.
Näher.
»Halt!« Ich zerrte Chase hinter einen gewaltigen Baumstumpf, der nach einem Bruch im Zuge eines längst vergangenen Sturms zurückgeblieben und nun von Efeu und Dornenranken überwuchert war. Er kauerte sich neben mich, still und stumm, und wurde sofort von der Dunkelheit verschlungen.
Die Fahrzeuge rasten die Straße herauf und brachten mit ihren Sirenen alle Tiere und Insekten zum Schweigen. Ich war wie versteinert, vollkommen unfähig, mich zu rühren.
Nicht anhalten, nicht anhalten, nicht anhalten!
Plärrend zogen sie vorbei. Einer. Zwei. Drei Streifenwagen. Unterwegs zum Haus der Loftons.
Und dann waren wir allein im Wald.
Chase atmete rasselnd aus, was mich daran erinnerte, dass ich das schon eine ganze Weile nicht mehr getan hatte.
Auf zitternden Beinen wanderten wir wieder los, bis wir die Stadtgrenze von Hinton erreicht hatten. Es war eine zeitaufwendige Plackerei. Keiner von uns wollte näher an die Straße heran, aber der Kurs, den wir dreißig Meter entfernt durch den Wald nahmen, lag dank der dicht stehenden Bäume in schwärzester Dunkelheit. Die Erschöpfung machte sich mehr und mehr in meinem Körper bemerkbar – eine Mischung aus Adrenalinverlust und einer schlaflosen Nacht –, aber mein Geist war so angespannt wie eine Sprungfeder.
Endlich, immer noch lange vor Anbruch der Morgendämmerung, kamen wir zu einem Parkplatz, überzogen mit dem Müll, der sich aus den überquellenden Abfalleimern ergoss. Auf der anderen Seite konnte ich vage das verputzte Gebäude eines Einkaufszentrums erkennen; die meisten Schaufensterscheiben waren mit Graffiti verschmiert worden, davon abgesehen machte die Anlage einen sicheren Eindruck. Keine FBR -Streifenwagen. Keine Gangs.
Auf dem Parkplatz standen vier Fahrzeuge. Alle wirkten verlassen.
»Kannst du eines der Autos kurzschließen?«, fragte ich sofort.
Chase schnaubte. »Wir warten, bis es heller ist. Jetzt können wir nicht losfahren, und ich möchte nicht auf freiem Gelände erwischt werden, sollte die MM auftauchen.«
Ich nickte, widerwillig, aber zustimmend. Es waren noch immer Stunden bis zum Sonnenaufgang.
Ein gutes Stück entfernt auf der linken Seite befand sich ein mächtiger, schattenhafter Koloss. Ein alter, verrosteter Sattelzugauflieger ohne Zugmaschine. Mir gefiel nicht, wie er den Blick auf den Wald dahinter versperrte. Das gab mir das Gefühl, viel zu exponiert zu sein, was mich daran erinnerte, dass wir im Grunde nicht hier draußen sein sollten. Dass wir inzwischen bei meiner Mutter sein sollten. Ich bohrte den Absatz in die Erde.
»Hey, vergiss Lewisburg«, sagte Chase, durchaus nicht unfreundlich. »Ich habe gesagt, ich bringe dich zu dem sicheren Haus, und das werde ich auch. Ich verspreche es.«
Tränen, von denen ich gar nicht gewusst hatte, dass sie sich bereits angesammelt hatten, strömten über meine Wangen. Wie? , wollte ich schreien. Wie kommen wir dahin? Wie kannst du so etwas versprechen? Du kennst nicht einmal den Weg! Aber ich wusste, er hätte keine Antworten zu bieten. Ihm diese Fragen zu stellen, würde nur dazu führen, dass wir uns beide noch schlechter fühlten. Ich griff nach dem Rucksack, tastete im Dunkeln nach dem Reißverschluss und wischte mir verstohlen die Augen trocken.
Die übrigen Klamotten, die wir in dem Sportgeschäft gestohlen hatten, lagen ganz oben. Sie waren noch feucht von dem Regen und würden bei den niedrigen Temperaturen äußerst unangenehm auf der Haut sein, aber das war nicht wichtig. Wir mussten uns umziehen. Ich reichte Chase ein frisches Flanellhemd und wünschte, wir könnten unsere Jacken wegwerfen, aber dafür war es zu kalt.
»Was ist im Haus noch passiert?«, fragte ich, nachdem ich den Kloß in meinem Hals runtergeschluckt hatte. So schnell wie möglich zog ich mich bis auf die Thermowäsche aus und
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