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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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vorstellen.
    »Brock untersteht also der MM , aber die hiesigen Soldaten unterstehen ihr?«, fragte ich. Rebecca starrte mich nur ausdruckslos an, und mir ging auf, dass sie den Spottnamen für die Soldaten des FBR offenbar noch nie gehört hatte. Da sie schon hier war, seit sie vierzehn war, hatte sie ein wenig den Kontakt zur Alltagskultur verloren.
    »Moralmiliz«, sagte Rebecca wehmütig, nachdem ich sie aufgeklärt hatte. »Lustig.«
    Missetäterinnen zu beaufsichtigen erforderte offenbar keine besonderen Fähigkeiten. Das FBR war zwar theoretisch auch für die hiesigen Soldaten zuständig, praktisch aber hatte Ms Brock die Oberaufsicht über ihren Tagesablauf. Bedauerlicherweise bedeutete das auch, dass Sean kaum Kontakt zum Rest des Militärs hatte. »Aber es gibt einen Kurier«, erzählte Rebecca. »Er kommt jede Woche, um Ms Brock Nachrichten von draußen zu bringen. Anweisungen vom leitenden Erziehungsbeauftragten. Änderungen der Statuten. Solches Zeug. Sean hört manchmal Gerüchte. Er wusste schon vor einer Weile, dass sie die Verfahren wegen Artikelverstößen stoppen würden, und er hatte recht. Es ist über einen Monat her, seit ein Soldat hier war, um eine Zeugin zu holen.«
    »Die Verfahren stoppen? Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich mit lauter Stimme.
    »Pst.« Sie winkte mir zu, ich möge mich wieder auf mein Bett setzen. »Ich weiß nicht, was das bedeutet. Vielleicht lassen sie deine Mom ja einfach gehen. Oder sie schicken sie zur Resozialisierung. Sean hat gesagt, sie müssten etwas ›abschließen‹, das würde die Prozesse ersetzen. Bestimmt ein neues Protokoll. Er wird nächsten Monat darin geschult.«
    Im Geiste stellte ich mir meine Mutter in meiner Situation vor, sah ihre kleinen, manikürten Hände auf einem Tisch, während Brock mit der Gerte auf sie einprügelte. Ich konnte sehen, wie ihre Bockigkeit purer Furcht wich. Wie sie auf dem Boden zusammenklappte, genauso, wie sie es bei Roy getan hatte.
    Das durfte ich nicht zulassen. Die Vorstellung, dass sie so leiden musste, machte mich krank.
    »Meine Mom hält das nicht durch. Ich muss sie finden. Irgendeinen Ausweg muss es geben. Was hat Katelyn getan? Wie wurde sie geschnappt?«, fragte ich.
    »Sean hat gesagt, sie haben sie draußen am Südzaun erwischt, als sie drüberklettern wollte.«
    Katelyn war groß gewesen, aber nicht gerade athletisch. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie über einen Zaun klettern konnte. Andererseits taten die Leute alle möglichen verrückten Dinge, wenn sie nur verzweifelt genug waren. Ich musste es wissen.
    »Gibt es keine andere Möglichkeit? Keine Löcher im Zaun? Keine anderen Ausgänge?«
    Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Die Wachen patrouillieren jede Stunde am Zaun entlang. Der einzige Weg nach draußen führt durch das Tor. Und da gibt es eine Wachstation und Soldaten, die jedes Fahrzeug durchsuchen.«
    »Und es ist nie jemand entkommen?«, fragte ich fassungslos.
    Rebecca krümmte sich zusammen. Als sie wieder das Wort ergriff, klang ihre Stimme ganz zart, als wäre sie um Jahre jünger.
    »Ein Mädchen hat es geschafft, gleich nachdem ich hergekommen bin. Sie ist über den Zaun geklettert und in den Wald geflohen, aber es hat so schlimm geschneit, sie ist an Unterkühlung gestorben. Brock hat den Soldaten befohlen, ihre Leiche in die Cafeteria zu bringen, um uns zu zeigen, was passiert, wenn wir versuchen zu fliehen. Sie war überall schwarz und blau angelaufen und …« Rebecca schüttelte den Kopf, als müsste sie die Erinnerung vertreiben. »Da hat Brock die Anweisung gegeben, dass die Soldaten jede erschießen sollen, die dem Zaun zu nahe kommt.«
    Der Gedanke, wie niederschmetternd es doch sein musste, die Freiheit zu erringen, nur um sie sofort wieder zu verlieren, erschreckte mich.
    »Seitdem haben es nur drei Mädchen ernsthaft versucht, und sie wurden alle getötet. Danach hat lange niemand mehr einen Fluchtversuch gewagt. Und wenn du wirklich so verrückt bist, dann wirst du die erste seit Katelyn sein.«
    Die Gefahren meines Vorhabens schlugen Wurzeln in meinen Eingeweiden. Sollte ich die Flucht ergreifen, so musste mir klar sein, dass ich das vielleicht nicht überleben würde, und sollte ich sterben, so würde ich sehr wahrscheinlich einen gewaltsamen Tod erleiden. Aber wenn ich blieb, würde ich nicht erfahren, ob meine Mutter geschlagen wurde oder ins Gefängnis geworfen oder einfach erschossen.
    Ich saß in einer Zwickmühle. Zwar hatte ich zwei Möglichkeiten,

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