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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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Schwebebalken schreiten, bis er erneut das Wort ergriff.
    »Wir müssen uns andere Klamotten besorgen«, sagte er und sah vage interessiert zu, wie ich mich plagte. »Du wirst auffallen, wenn du eine Mischung aus meiner und deiner Uniform trägst.«
    Ich zwang mich, Ruhe zu wahren. Ich wusste nicht, was ihm gerade vorschwebte, aber ich nahm an, dass es in die gleiche Richtung ging wie bei der Beschaffung des Fahrzeugs. Der Gedanke zu stehlen störte mich nicht so sehr, wie ich gedacht hatte, solange ich nur niemandem dabei wehtun musste und es nicht zu lange dauerte.
    Ich sammelte das Zuviel an Ärmeln in meinen Fäusten und konzentrierte mich auf die Vorstellung, dass ich schon bei Anbruch der Nacht meine Mutter wiedersehen würde.
    Eine halbe Stunde später waren wir wieder auf dem Highway.
    Kurz nach sieben passierten wir ein Schild, das uns verriet, dass wir uns der Grenze von Maryland näherten. Am liebsten wäre ich direkt zum Checkpoint gefahren, aber wir durften nicht riskieren, dass die Highway Patrol unserer Spur folgte, also waren wir gezwungen, einen weiten Bogen nach Süden zu machen. Alle paar Minuten schaute ich auf die Karte und folgte Chases geplanter Route. Er hatte mir die genauen Koordinaten des Treffpunkts gezeigt: 190 Rudy Lane in Harrisonburg, Virginia.
    Wir konnten es immer noch pünktlich schaffen, vorausgesetzt, wir begegneten keinen weiteren Soldaten.
    Obwohl es keine anderen Fahrzeuge gab, kamen wir nur langsam voran. Die Straße war voller Zivilisationsabfälle und Löcher im Asphalt: eine Bettdecke, das Metallskelett eines Regenschirms. Und wir erschreckten ein Reh, das sich an den verfallenen Überresten eines Pappkartons von Horizons labte.
    All das erfasste ich mit einer Mischung aus Ehrfurcht und niedergeschmettertem Stolz. Ich war neun Jahre alt gewesen, als der Krieg nach Baltimore gekommen war, und der Rest des Staates war noch vor meinem zehnten Geburtstag evakuiert worden. Das hier waren die einzigen Hinweise darauf, dass es hier einmal Menschen gegeben hatte.
    Chase beugte sich ein wenig vor und umrundete ein verrostetes Motorrad, das mitten auf der Straße lag. In meinem Bauch regte sich ein sonderbar vertrautes Gefühl.
    »Komm schon, du hast doch keine Angst, oder?« Sein Grinsen war sündhaft, sein herausfordernder Ton wohlüberlegt. Er wusste genau, dass ich seit meinem siebten Lebensjahr vor keiner seiner Mutproben gekniffen hatte, und jetzt würde ich das auch nicht tun.
    Ich warf ein Bein über das Heck des Motorrads und quetschte den Rahmen so fest zwischen die Beine, dass das Metall sich biegen musste. Belustigung flackerte in seinen dunklen Augen, als er die Griffe umfasste und den Seitenständer einklappte. Mit einer Kopfbewegung bedeutete er mir, dass ich weiter nach hinten rutschen sollte.
    Ich fummelte an der Rückseite seines Hemds herum, suchte nach etwas, woran ich mich festhalten konnte.
    »Versuch es so.« Er nahm meine Hände und zog sie um seinen Körper, bis sie flach auf seinem Brustkorb lagen. Die Wärme seines Körpers drang durch meine dünnen Fäustlinge. Chase griff nach hinten in meine Kniekehlen und zog mich nach vorn, bis mein Oberkörper direkt an seinem Rücken lag.
    Ich hielt die Luft an. Wir berührten einander an so vielen Stellen, ich konnte mich gar nicht mehr konzentrieren. Sein rechter Fuß schoss herab, und das Motorrad erwachte dröhnend zum Leben. Der Sitz vibrierte unter mir. Mein Herz pochte heftig, und ich spürte bereits die Panik in mir aufsteigen.
    »Warte!«, brüllte ich durch das Visier des Helms. »Brauche ich keine Einweisung oder eine Anleitung oder einen Kurs …«
    Für einen kurzen Moment verschränkte er seine Finger auf der Brust mit meinen.
    »Lehn dich immer in die Richtung, in die ich mich lehne. Kämpf nicht gegen mich.«
    Kämpf nicht gegen mich, Ember.
    Geistesabwesend rieb ich mir die rechte Schläfe mit dem Daumen. Ich musste aufhören, immer wieder an den Menschen zu denken, der Chase einmal gewesen war.
    »Wie hat Mom ausgesehen, als sie entlassen wurde?«, fragte ich und schüttelte die Erinnerung ab.
    »Was?« Er hatte die Schultern hochgezogen und sah zur Seitenscheibe hinaus.
    »Wie hat sie ausgesehen? Nach der Urteilsverkündung?«
    »Ich habe nie gesagt, sie wäre verurteilt worden.«
    Ich richtete mich auf meinem Sitz auf. »Aber angedeutet. Du hast gesagt, Leute würden verurteilt oder ausgesondert. Und du hast gesagt, sie hätten sie gehen lassen, nicht wahr? Also hat sie die Bedingungen des

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