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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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Urteils erfüllt?«
    »Richtig.«
    Ich ächzte. Dieser vage Ersatz für eine Erklärung war beinahe noch schlimmer als das Schweigegelübde, dem er sich zuvor gebeugt zu haben schien.
    »Wie lange habt ihr sie vorher festgehalten?«
    »Nur einen Tag.«
    »Liefer mir nur nicht zu viele Details, okay? Ich glaube, das könnte ich nicht aushalten.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
    Er schwieg und brütete wieder vor sich hin. Was habe ich dir getan, hätte ich ihn gern angeschrien. Warum redest du nicht mit mir? Es wäre so viel einfacher, diesen Mann neben mir so zu nehmen, wie er sich gab, hätte ich ihn nicht schon gekannt, bevor er so zurückhaltend, wachsam und kalt geworden war. Wenn ich mich nicht erinnern würde, dass er einmal ein offenes Buch für mich gewesen war und dass die Tage zu kurz gewesen waren, um all unsere Worte zu fassen. Es tat weh, aber schlimmer war, dass ich mich angesichts seines neuen Verhaltens fragte, ob ich womöglich alles, was zwischen uns gewesen war, vollkommen falsch eingeschätzt hatte.
    Er dehnte seinen steifen Nacken, bewegte den Kopf von einer Seite zur anderen.
    »Sie hat …« Er zögerte. »Ich weiß nicht, sie hat ausgesehen wie deine Mom. Kurzes Haar, große Augen. Was willst du von mir hören? Ich habe sie nur kurz zu sehen bekommen.«
    Ich schnaubte verächtlich. Nur ein Junge konnte solch eine Frage so wörtlich nehmen.
    »Wie hat sie auf dich gewirkt ? Hatte sie Angst?«
    Er dachte über meine Frage nach, und ich sah eine minimale Veränderung in seinen Zügen. Anstrengung, die an seinen Augenwinkeln zupfte. Ein Anblick, der mich sofort mit Besorgnis erfüllte.
    »Ja. Sie hatte Angst.« Er räusperte sich, und ich sah ihm an, dass ihre Furcht seine harte Schale durchbohrt hatte. »Aber sie war auch ganz klar. Nicht so verrückt, wie manche Leute es werden, wenn sie Angst bekommen. Sie hat ziemlich unter Druck gestanden, wenn man bedenkt, was passiert ist, und sie wollte unbedingt, dass wir diesen Plan in die Tat umsetzen.«
    »Puh.« Ich sackte auf meinem Sitz in mich zusammen.
    »Was?«, fragte er mich in ernstem Ton, und mir ging durch den Kopf, dass es ihn zum ersten Mal zu interessieren schien, was ich dachte.
    »Ich hätte sie nur nie als ›klar‹ beschrieben. Ich … ich kann nicht fassen, dass ich so etwas sage. Das ist furchtbar.« Ich zog den Kopf ein. Mir war, als hätte ich sie verraten. »Ich wollte damit nicht sagen, dass sie nicht in der Lage wäre, Entscheidungen zu treffen oder so was. Es ist nur, unter Druck … ist sie normalerweise nicht klar.«
    Kurz sah ich unsere Küche vor meinem geistigen Auge. Sah sie auf dem Boden hocken und weinen, nachdem ich Roy rausgeworfen hatte. Und ich dachte an die vielen Male, als sie Schmuggelware mit nach Hause gebracht hatte oder sich vorgenommen hatte, bei der nächsten Konformitätskontrolle einen Soldaten zur Sau zu machen. Ich war die Besonnene, auf Sicherheit Bedachte. Nicht sie. Und nun sagte er mir, sie hätte mich in einer der beängstigendsten Situationen unseres Lebens nicht gebraucht? Sie käme gut allein zurecht? Worum zerbrach ich mir überhaupt den Kopf?
    Ich kniff die Augen zu. Sie brannten unter heißen Tränen, die ich nicht vergießen wollte.
    »Du wärst stolz auf sie gewesen«, sagte er leise.
    Mein Herz bekam einen Sprung. Was war eigentlich los mit mir? Seine Worte hätten mich beruhigen sollen. Stattdessen saß ich hier und kam mir unzulänglich vor, weil sie allein zurechtkam. Als wäre ich co-abhängig oder etwas in der Art.
    So schnell die Gefühlswallung aufgekommen war, so schnell zog sie sich zurück und ließ pure Sachlichkeit zurück.
    Ich brauchte sie nicht, um stark zu sein, weil sie mich stark gemacht hatte. Und ich sie ebenso. Sie war ein großes Mädchen, wie sie mir unzählige Male erklärt hatte, wenn ich ihre Hetzreden leid gewesen war. Sie hatte es nach South Carolina geschafft; jetzt musste ich nur auch noch dorthin kommen.
    »Da fühlt man sich irgendwie ganz klein, was?«, meinte ich, als der Highway auf einen mächtigen, keilförmigen Spalt in den Bergen zulief. Die senffarbenen Hänge dehnten sich hundert Meter zu beiden Seiten aus, sodass vom Himmel nur ein schmaler Silberstreif zu sehen war. Bäume und Rankengewächse in verschiedenen Stadien des Verfalls, die lange ohne die Fürsorge der städtischen Landschaftspfleger hatten auskommen müssen, streckten ihre krummen Finger nach uns aus. Chase musste die Geschwindigkeit reduzieren, als wir über einen

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