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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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als ein Atemzug.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete er aufrichtig.
    Langsam glitt ich in den Schlaf, die Knie eng an die Brust gezogen. Insgeheim wünschte ich mir, er hätte mir eine klarere Antwort gegeben. Dann hätte ich wenigstens gewusst, wie es einem von uns erging.
    »Guten Morgen.«
    Er stützte die Ellbogen auf die Fensterbank. Auf seinem Haar thronte die übliche alte Kappe, deren Schild gebogen war wie ein Halbmond. Müde, wie ich war, wusste ich beim Anblick seines Lächelns doch, dass ich nicht wieder würde einschlafen können.
    Ich kniete im Nachthemd auf meiner Daunendecke und schob das Fenster ganz hoch. Der Himmel war noch genauso schwarz wie zu der Zeit, als ich ins Bett gegangen war.
    »Warum schläfst du nicht?« Mit einem Nicken deutete ich in die Richtung seines Schlafzimmers, das direkt gegenüber lag. Er sah sich kurz um und zuckte mit den Schultern.
    »War nicht müde. Deine Mom und ich sind spazieren gegangen. Sie hat mich gebeten, dir zu sagen, dass du heute brav sein sollst. Und dass du nichts tun sollst, was sie nicht auch tun würde.« Er zwinkerte mir theatralisch zu, genauso wie sie es getan hätte.
    Ich verdrehte die Augen, aber mir war warm ums Herz. Ich freute mich, dass Chase meine Mutter zu ihrer Suppenküche begleitet hatte. In unserer Stadt war es nicht mehr so sicher wie früher, ganz besonders in den dunklen Morgenstunden kurz nach Aufhebung der Ausgangssperre. Und sie war nie so wachsam, wie sie sein sollte, wenn sie draußen unterwegs war.
    »Danke«, sagte ich. »Dass du auf sie aufgepasst hast.«
    Er schaute mich an, als hätte ich mit nichts anderem rechnen dürfen.
    Ich schmiegte die Wange fester an mein Kissen und … es bewegte sich.
    Ich riss die Augen auf.
    Und erkannte, dass ich im Führerhaus des Trucks war, nicht zu Hause. Nicht in der Besserungsanstalt. Ich hatte mich auf dem Sitz zusammengerollt, und mein Kopf lag auf Chases Oberschenkel. Und die Dinge zwischen uns waren nicht mehr so wie früher.
    Ruckartig richtete ich mich auf.
    Das graue Licht des frühen Morgens drang durch den Film aus Kondenswasser, der die Scheibe bedeckte. Es war Donnerstag, der Tag, an dem wir den Schleuser treffen sollten … der Tag, an dem ich meine Mutter wiedersehen würde.
    Der Tag, an dem Chase als unerlaubt abwesend gemeldet werden würde.
    Ich schüttelte die MM -Uniformjacke ab, die ich als Decke benutzt hatte, und versuchte mich zu erinnern, wann und wie sie auf meinem Körper gelandet war …
    Chase rieb sich das stoppelige Gesicht mit den Händen. Seine Augen weiteten sich, als er mich anblickte. Ich fuhr mir hektisch mit der Hand durch das kurze, ungleichmäßig abgehackte Haar und schlug eine Hand vor den Mund.
    »Zahnpasta«, verlangte ich. Ich hatte keine Zahnbürste; mein Finger würde reichen müssen. Aber als ich nach der Tasche griff, riss er sie weg und holte das Gewünschte selbst heraus. Ich wusste nicht, warum; die Waffe hatte ich doch bereits gesehen.
    Eine Woge kalter Luft erschütterte mich, als ich die Tür öffnete. Zitternd ging ich weit genug von dem Truck weg, um den Traum abzuschütteln, aber nicht so weit, dass ich ihn aus den Augen hätte verlieren können.
    Weiter im Süden, da, wo das sichere Haus war, würde es wärmer sein. Vielleicht war meine Mutter schon dort, hatte den Kopf auf die Unterarme gelegt und grummelte, weil es keinen koffeinfreien Kaffee gab wie in der guten alten Zeit. Vielleicht waren auch noch andere Mütter da – Leute, die sie beruhigen konnten, wenn sie sich allzu große Sorgen machte, sie besänftigen, wenn sie spontan eine Rebellion zu starten versuchte, was zwangsläufig geschehen würde. Ich konnte sie vor mir sehen, wie sie in vorderster Front den Aufstand probte, ein geschmuggeltes Magazin zusammengerollt in einer erhobenen Faust, ein Mülleimer mit brennenden Statutenbriefen neben sich. Der Gedanke entlockte mir ein Lächeln, ein heimliches Lächeln, das ich ihr nie zeigen würde, dafür fürchtete ich viel zu sehr, sie könnte es als Ermutigung verstehen.
    »Schöner Mantel«, riss mich Chase aus meiner Versunkenheit. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, als ich beim Aussteigen in seine riesige Jacke geschlüpft war, aber jetzt war es mir plötzlich peinlich, und ich war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sie einfach nach ihm zu werfen, und dem Bedürfnis, mich noch tiefer in dem voluminösen Stoffgebilde zu verkriechen. Schließlich verlagerte ich nur mein Gewicht, als würde ich über einen

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