Arto Ratamo 7: Der Finne
fand.
»Erik der Heilige war natürlich kein Finne als König Finnlands, aber er ist sehr stark mit den finnischen Königsmythen verbunden: Die Legenden, die über seine Kreuzzüge nach Finnland im zwölften Jahrhundert erzählt werden,sind als offizielle Darstellung der Geschichte anerkannt, und deswegen wurden Schriften, die über die finnischen Könige berichten, nie in nennenswerter Weise erforscht.«
»Klar. Ich bekomme Paula also in Kokemäki zurück«, sagte Taru, als das Taxi in Mansikkala vor dem Bahnhof für Bus und Eisenbahn hielt.
40
Helsinki, Samstag, 12. August
Otto Forsman war an ein Krankenhausbett gefesselt und wartete gelassen auf sein Ende; er roch den Duft des Meeres und hörte das Rauschen der Wellen und die Schreie der Möwen. Er befand sich in einem Blockhaus mit einem Fußboden aus breiten Bohlen, es roch nach Harz und Holz. Die Autofahrt von Helsinki hierher hatte nur etwas mehr als eine halbe Stunde gedauert. Er fühlte sich müde und alt, sehr alt.
Die Tür ging auf, und jemand betrat das Zimmer. Angespannt registrierte Forsman, wie der Ankömmling herumklapperte, Metall berührte Metall, und Möbel wurden geschoben. Auch ohne den leichten Parfümduft hätte er gewusst, dass es sich um eine Frau handelte. Die Bewegungen der Frauen waren in der Regel weich, ruhig und genau und nicht so kantig und schnell wie die der meisten Männer. Sie arbeitete für den FSB und bereitete sich auf ein Verhör vor, in dessen Verlauf er, Otto Forsman, sein Leben verlieren würde. Er durfte nur leben, bis er redete.
Eerik war wahrscheinlich schon auf dem Weg zum Versteck des letzten Briefes, nur er konnte das Dokument finden, da war sich Forsman ganz sicher. Er machte sich Sorgen um seinen Sohn und um das »Schwert des Marschalls«. Doch er hatte alles getan, was er konnte: Über sechzig Jahre lang hatte er das Geheimnis für sich behalten, er hatte seinen Sohn nur für diese eine Aufgabe erzogen, für die Übergabe des Dokuments an Eerik einen Plan ausgearbeitet, der nicht misslingen konnte, und seinem Sohn in den Briefendie ganze Wahrheit berichtet, nichts verheimlicht, nichts hinzugefügt. Nur bei einer Sache hatte er gelogen.
Ein Tag, ein Augenblick und eine Entscheidung konnten das Leben eines Menschen verändern und dessen Richtung und Inhalt bis zum Tod bestimmen. Er erinnerte sich an den Wendepunkt in seinem Leben, als wäre es gestern gewesen.
Das Torpedoboot Isku hatte sie in den ersten Morgenstunden des 11. Juli 1944 von der Fundstelle vor Tallinn nach Helsinki gebracht. Er und Kulomaa hatten nicht gewusst, was das Dokument enthielt, das sie bei ihrem Tauchgang aus dem Wrack der Kaleva geborgen hatten. Immerhin war beiden klar geworden, dass dieses Dokument außergewöhnlich wichtig sein musste: Sie hatten ihren Befehl direkt aus dem Hauptquartier des Oberbefehlshabers erhalten, in die Operation hatte man enorm viel Geld gesteckt, und sie war streng geheim gehalten worden.
Von Santahamina hatte man sie schnellstens zum Bahnhof von Malmi gebracht. Der gepanzerte Waggon, der mitten in einen gewöhnlichen Güterzug gekoppelt war, wurde für drei Tage voller Rattern und Schütteln ihr Zuhause. Kulomaa hatte nur geschlafen und gegessen; der dreißigjährige Unteroffizier aus Satakunta spielte weder Karten, noch rauchte er oder plauderte mit ihm zum Zeitvertreib, sondern er schlief nur und aß.
Er selbst hatte zwei Nächte wach gelegen, bevor er seiner Neugier nachgab. Kulomaa schlief, als er nachts um zwei an ihrem letzten Reisetag das Siegel der Kiste aufbrach, in der das ›Schwert des Marschalls‹ aufbewahrt wurde. Das Dokument war beeindruckend. Es hatte anderthalb Stunden gedauert, bis er die ersten, im sechzehnten Jahrhundert geschriebenen russischsprachigen Aufzeichnungen und die dazugehörigen Anhänge im trüben Licht der Öllampe entziffert hatte, obwohl man ihn gerade wegen seiner perfektenRussischkenntnisse für diesen Auftrag ausgewählt hatte. Kurz vor zehn hatte er das Dokument und sein umfangreiches Beweismaterial ganz durchgelesen. Diese acht Stunden hatten sein Leben verändert, er war in Geheimnisse eingeweiht worden, die sich kaum einer auch nur vorstellen konnte. Und Kulomaa hatte sich während der ganzen Zeit nicht einmal auf die andere Seite gedreht.
An die Autofahrt von Rovaniemi nach Inari erinnerte er sich nur schwach. Die Informationen aus dem Buch, die ihm durch den Kopf schwirrten, und die Müdigkeit hatten das ihre getan, er war zu einem Nervenbündel geworden,
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