Arto Ratamo 7: Der Finne
nickte.
Die drei umkurvten Farbbüchsen und Mörtelsäcke, die auf der Veranda herumstanden, und gelangten in die gemütliche Küche, die in neuem Glanz erstrahlte. Ketonen hätte bei dem Duft, der vom Herd in seine Nase zog, fast die Hosenträger gelockert. »Du bist anscheinend gleich damals hergekommen, nachdem du dich … von Otto getrennt hast.«
Eerika Sutela blieb mitten in der Küche stehen. »Anfang der siebziger Jahre war es auch in Helsinki eine Sensation, wenn eine Frau ihren Mann verließ und ihn zum alleinerziehenden Vater machte. Ein Mann durfte natürlich auch damals Frau und Kind verlassen, ohne dass man ihn als … sonst was beschimpfte.« Eerika Sutela überlegte genau, was sie sagte, als sie Nellis Blick bemerkte. »Hier wurde man in Ruhe gelassen, deshalb bin ich hierhergezogen.«
Ketonen wurde klar, dass er einen wunden Punkt berührt hatte. »Zum Glück verläuft die Entwicklung zuweilen auch in eine positive Richtung.«
»Ich habe euch etwas zu essen gemacht, es ist immer angenehm, hier auf der Insel Besuch zu bekommen«, sagte Eerika Sutela, um das Thema zu wechseln.
Die drei setzten sich an den Tisch und aßen Maräne in Pfifferlingsoße. Ketonen und Eerika Sutela unterhielten sich über den Alltag als Rentner und über das Leben auf den Schären, kamen so auf den Zustand der Ostsee und den abnehmenden Lachsforellenbestand zu sprechen und landeten schließlich bei Ketonens verstorbener Frau Hilkka. Ketonen aß so viel, wie er sich traute, und auch Nelli tat ihr Bestes, obwohl sie immer noch voll war von dem halben Steak und dem großen Eis.
Als man zum Kaffee überging, nutzte Ketonen die Gelegenheit: »Wie wär’s, Nelli, wenn du dich mal draußen umschaust. Wir wollen uns ein wenig über vergangene Zeiten unterhalten.«
»Am Ufer kann man gut schwimmen, und das Wasser hat noch fast zwanzig Grad«, ergänzte Eerika Sutela.
»Was denn, ohne Badeanzug«, protestierte Nelli, verschwand aber doch im Garten.
Ketonen musterte die Hausherrin und verspürte Gewissensbisse. Eerika Sutela war der lebendige Beweis dafür, dass ein Mensch jugendlich wirken konnte, selbst wenn er ergraut und schon über siebzig Jahre alt war. Auch er müsste in Kürze anfangen, etwas für seine körperliche Verfassung zu tun.
Eerika kam zur Sache: »Du hast am Telefon gesagt, dass du über Otto reden willst.«
»Das stimmt. Otto ist … na, sagen wir mal, verschwunden. Und dein Sohn Eerik könnte auch ein Problem haben.«
Eerika runzelte die Stirn. »Wieso? Der alte Spinner hat doch nicht etwa Eerik mit in irgendwelche Dummheiten hineingezogen?«
Ketonen lächelte beruhigend. »Eerik ist nicht in Gefahr, mein … ein Mitarbeiter der SUPO passt auf ihn auf. Aber um Otto zu finden, müsste ich dich einige Dinge fragen. Hat Otto jemals ein Dokument namens ›Schwert des Marschalls‹ erwähnt? Oder hat er jemals von der Kriegszeit gesprochen, wo er gekämpft hat oder so etwas Ähnliches?«
»Der Mann hat über gar nichts geredet. Außer über Geschichte«, erwiderte Eerika Sutela verärgert. »Und wenn er, was selten vorkam, Kriegsgeschichten erzählt hat, dann hatten sie weder Sinn noch Verstand: Die offizielle Geschichtsschreibung ist eine einzige große Lüge, niemand hat eine Ahnung, warum Finnland wirklich unabhängig geblieben ist, er weiß das eine und andere von Mannerheim … Solchen Unsinn hat er von sich gegeben, wenn er sich wichtig tun wollte.« Eerika Sutela ärgerte sich immer noch so, dass sie die Tischdecke bekleckerte, als sie Ketonen Kaffee einschenkte.
»Lag das an diesen … psychischen Problemen? Otto musste doch wohl damals Ende der sechziger Jahre auch kurz nach Lapinlahti.«
»Otto Forsman hatte keinen Schaden im Kopf. Zumindest nicht in dem Sinne, wie du es meinst. Aber fanatisch war er und ist es sicher immer noch. Die Tage hat er im Ministerium verbracht und die Abende mit seinen Geschichtsbüchern. Und Eerik hat er angebetet, er hat gesagt, dass er ihn zu seinem Nachfolger machen würde. Wobei soll er denn dein Nachfolger werden, habe ich ihn immer wieder gefragt, aber …«
»Hat Otto ein Notizbuch oder ein Tagebuch geführt?«, fragte Ketonen ganz ruhig. Anscheinend brachte Otto Forsman seine Exfrau immer noch in Rage.
Eerika Sutela trank einen Schluck Kaffee, lehnte sich zurück und klopfte mit dem Finger auf den Tisch. »Er hat alles notiert, am liebsten auch noch seine Schuhgröße. Diese dickenschwarzen Hefter lagen in jeder Ecke, stapelweise. Und dann hatte er dieses
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