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Arto Ratamo 7: Der Finne

Arto Ratamo 7: Der Finne

Titel: Arto Ratamo 7: Der Finne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Teufelskirche versteckt hatte, einer Felsformation, die einem riesigen Unterstand glich und an deren Dunkelheit er sich immer noch genau erinnerte.

2
    London, Donnerstag, 3. August
    Rufe und Geschrei hallten durch den Lyttelton-Park in Hampstead Garden, einem Vorort im Nordwesten Londons, aber der groß gewachsene blonde Mann hörte sie nicht, sondern starrte in Gedanken versunken auf den Rasen. Plötzlich knallte es, ein Schlag traf ihn auf dem Rücken.
    Der Fluch gefror Eerik Sutela auf den Lippen, als er sich umdrehte und den Angreifer sah. Er war das Opfer eines etwa zehnjährigen Mädchens geworden, das unbekümmert laut lachte. Die sommersprossige Göre hatte verbundene Augen und hielt einen langen Holzstock so fest in der Hand, dass ihre Knöchel ganz weiß waren. Sutela schob seine runde Brille auf der Nase zurecht und brachte ein Lachen zustande, obwohl sein Rücken weh tat. Die kleine Prügelheldin mit dem roten Tuch vor den Augen war offensichtlich ein Geburtstagskind, das versucht hatte, den mit Bonbons gefüllten Pappesel zu treffen, der an einem Ast hing. Das Piñata-Spiel war bei den Londoner Kindern neuerdings sehr beliebt.
    Sutela fuhr über die schmerzende Stelle zwischen den Schulterblättern, wischte sich den Schweiß von der Stirn und ging weiter in Richtung Kingsley Close, wo sich seine Wohnung befand. Die schrillen Freudenschreie der Kinder erklangen noch eine Weile hinter ihm, als würden sie in der heißen Luft dieses Augusttages schweben. Sutela gingen düstere Gedanken durch den Kopf, sie kreisten um dieselben Dinge, die er in seinem ganzen Sommerurlaub wiederkäute, und der dauerte schon anderthalb Wochen.
    Er überquerte die Straße, wandte den Blick in Richtung Einkaufszentrum und sah das bunte Schild mit der Werbung eines vertrauten Restaurants. Das verdarb ihm die Laune noch mehr. Marissa und er hatten sich oft samstags an einen Ecktisch im »Oriental Village« zurückgezogen, die Welt rundum vergessen und Lukullisches genossen. Die Trauer und die Sehnsucht schienen ihn immer noch überallhin zu begleiten, obwohl Marissa schon vor über zwei Jahren nach langem Leiden gestorben war. Anfangs hatte er geglaubt, dass die Gedanken an ihre gemeinsamen Jahre die Sehnsucht allmählich lindern und schließlich beenden würden, aber da war er sich nun nicht mehr so sicher. Anscheinend hatte er sich in seinen Erinnerungen verirrt und kam nicht mehr heraus.
    Sutela entschloss sich, auf einen Sprung im »Oriental Village« vorbeizuschauen, schließlich hatte er sich bei seinem Rundgang auch all die anderen Orte angesehen, die zu den Standardspaziergängen mit Marissa gehört hatten: den Bahnhof von Golders Green, die Kirche St. Jude und die Häuser an der Erskine Hill.
    Wenig später blieb er vor dem Fenster des Restaurants stehen, um einen Blick auf die Menschen zu werfen, die hinter der Scheibe saßen und speisten. Während sie sich unterhielten und zum Essen einen Schluck Wein tranken, sahen sie so normal aus. Als gäbe es keine Sorgen und keine Angst vor dem Morgen.
    Plötzlich wurde die Tür des Restaurants aufgestoßen, und Sutela hörte die vertraute Stimme des chinesischen Kellners.
    »Eerik! Lange nicht gesehen. Wo hast du dich denn versteckt?«, sagte Wang in seinem Englisch mit dem starken Akzent, dabei bis zu den Ohren grinsend. »Wo ist Marissa?«
    »Wir sind umgezogen … schon vor zwei Jahren. Nach Südlondon«, log Sutela und hob die Hände, die so groß waren wie Schaufeln. Sein Versuch zu lächeln endete kläglich.
    Sutela bemerkte, wie Wang in seinem schwarzen Kellneranzug mit erstaunter Miene seine abgetragenen Cordhosen und das ausgebleichte Pikeehemd betrachtete. Kein Wunder, diese Klamotten waren wohl irgendwann in den Achtzigern modisch gewesen. Jahrelang hatte er sich nicht einmal Socken gekauft.
    Wang bemühte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber das versiegte schnell, denn die Antworten kamen nur stockend. Schließlich fiel Sutela ein plumper Vorwand ein, sich zu verabschieden und weiterzugehen. Er konnte einfach nicht mehr über Marissas Tod sprechen, die Leute waren verlegen, wenn sie davon hörten, und versuchten, einer ungeschickter als der andere, ihr Beileid auszusprechen. Mit seinem Schweigen hatte er es allerdings geschafft, die Verbindung zu fast all seinen Freunden abzubrechen. Immerhin hielt er zu Marissas Vater noch engen Kontakt; Derek tat sein Möglichstes, um ihn zu unterstützen. Im vergangenen Jahr hatte er Eerik sogar eine Dienstreise nach

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