Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
zurück.
Am folgenden Morgen verließen wir Isca – diesmal begleitet von Culhwch und einem Dutzend seiner Männer. Wir überquerten den Exe auf der römischen Brücke und zogen sodann nach Süden tief in die Seengebiete hinein, die an Dumnonias fernster Küste lagen. Arthur verlor kein Wort mehr über die Raserei der Christen, der er beigewohnt hatte, aber er war merkwürdig schweigsam an jenem Tag. Ich schloß daraus, daß ihn die Riten zutiefst verstört hatten. Er haßte jede Art von Raserei, weil sie Männer und Frauen ihrer Vernunft beraubte, und muß sich wohl angstvoll gefragt haben, was ein derartiger Wahnsinn seinem sorgfältig konstruierten Frieden zufügen werde.
Vorerst aber waren nicht Dumnonias Christen unser Problem, sondern Tristan. Da Culhwch dem Prinzen eine Nachricht geschickt und ihn von unserem Kommen unterrichtet hatte, kam Tristan uns entgegengeritten, um uns zu begrüßen. Er kam allein; die Hufe seines Pferdes wirbelten Staubwolken auf, als er auf uns zugaloppiert kam. Er begrüßte uns freudig, schreckte aber vor Arthurs kalter Reserve zurück. Diese Zurückhaltung entsprang nicht etwa einer inneren Abneigung, die Arthur für Tristan hegte – im Gegenteil, er mochte den Prinzen sehr –, sondern eher Arthurs Erkenntnis, daß er nicht einfach gekommen war, um diesen Streit zu schlichten, sondern um über einen alten Freund zu richten. »Er hat Sorgen«, erklärte ich unbestimmt, da ich Tristan beruhigen wollte. Ich führte mein Pferd am Zügel, denn ich fühlte mich stets wohler, wenn ich zu Fuß gehen konnte. Also saß Tristan, nachdem er Culhwch begrüßt hatte, ebenfalls ab und schritt an meiner Seite weiter. Ich schilderte ihm die enthemmte Raserei der Christen und schrieb Arthurs kühle Zurückhaltung den Sorgen zu, die er sich wegen dieser Ereignisse machte, aber Tristan wollte nichts davon hören. Er war verliebt und konnte, wie alle Liebenden, von nichts anderem reden als von seiner Liebsten. »Ein Juwel, Derfel«, sagte er, »genau das ist sie. Ein irisches Juwel!« Mit langen Schritten, den einen Arm um meine Schultern gelegt, ging er neben mir; in seinem langen, schwarzen Haar klirrten die Kriegerringe, die er in seine Zöpfe geflochten hatte. Sein Bart war inzwischen stärker von Weiß
durchzogen, doch er war immer noch ein gutaussehender Mann mit knochiger Nase und dunklen, wachen Augen, die vor Leidenschaft brannten. »Iseult«, sagte er verträumt. »Iseult heißt sie.«
»Das hörten wir«, gab ich trocken zurück.
»Ein Kind Demetias«, fuhr er fort, »eine Tochter Oengus Mac Airems. Eine Prinzessin der Ui Liathäin. Fünfzehn Sommer alt und schön wie die Nacht.«
Ich dachte an Arthurs unbezähmbare Leidenschaft für Guinevere und mein eigenes Verlangen nach Ceinwyn, und mein Freund tat mir in der Seele leid. Er war blind vor Liebe, überwältigt von ihr, in den Wahnsinn getrieben von ihr. Tristan war immer schon ein leidenschaftlicher Mann gewesen, der zu finsteren Tiefen der Verzweiflung ebenso wie zu jubelnden Höhen des Glücks neigte – jetzt aber sah ich ihn zum ersten Mal, wie er vom Sturmwind der Liebe geschüttelt wurde.
»Euer Vater«, versuchte ich ihn behutsam zu warnen, »verlangt Iseult zurück.«
»Mein Vater ist alt«, entgegnete er, jedes Hindernis beiseite fegend, »und wenn er stirbt, werde ich mit meiner Prinzessin der Ui Liathäin zu Tintagels Eisentoren segeln und ihr ein Schloß aus silbernen Türmen bauen, das zu den Sternen emporragen wird.« Er lachte über die eigene Extravaganz.
»Anbeten werdet Ihr sie, Derfel!«
Ich antwortete nicht, sondern ließ ihn weiterreden. Für unsere Nachrichten hatte er kein Ohr, es interessierte ihn nicht, daß ich drei Töchter hatte und die Sachsen in der Defensive waren: In seiner Welt hatte nichts anderes mehr Platz als Iseult. »Wartet, bis Ihr sie seht, Derfel!« sagte er immer wieder, und je näher wir ihrem Zufluchtsort kamen, desto aufgeregter wurde er, bis er es schließlich nicht mehr ertragen konnte, von seiner Iseult getrennt zu sein, sich in den Sattel schwang und ungeduldig davonsprengte. Arthur sah mich fragend an. Ich verzog das Gesicht. »Er ist verliebt«, sagte ich, als müsse ich ihm das noch erklären.
»Mit der vom Vater ererbten Neigung für junge Mädchen«, setzte Arthur grimmig hinzu.
»Ihr und ich, wir kennen die Liebe, Lord«, wandte ich ein.
»Seid freundlich zu ihnen.«
Tristan und Iseults Zufluchtsstätte war ein wunderschöner Ort, vielleicht der schönste, den ich
Weitere Kostenlose Bücher