Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
die Welt existiert einzig zu ihrem Vergnügen.«
Culhwch ging mit einem leichten Hinken, eine Folge der Wunde, die er in der Schlacht gegen Aelles Heer davongetragen hatte. »Sie sind zum Meer hinuntergegangen«, erklärte er mir, »um zu Manawydan zu beten.«
Culhwch und ich folgten den Liebenden und stiegen aus der bewaldeten Senke zu einem windzerzausten Hügel empor, der in einer hohen Klippe endete, wo die Seemöwen kreisten und wo sich der Ozean in weiß zerfetzten Gischtkronen brach. Culhwch und ich standen auf der Klippe und blickten auf eine kleine Bucht hinab, wo Tristan und Iseult sich auf dem Sandstrand ergingen. Als ich die schüchterne Königin am Abend zuvor beobachtete, hatte ich eigentlich nicht verstehen können, was der Grund für Tristans Liebeswahn war. An diesem windigen Morgen verstand ich ihn.
Ich beobachtete, wie sie sich plötzlich von Tristan löste und vorauslief, wie sie hüpfte, sich zu ihm umdrehte und über ihren Liebsten lachte, der ihr gemächlich folgte. Sie trug ein loses, weißes Gewand, und das lange, schwarze Haar, nun nicht mehr geflochten und aufgesteckt, wehte frei im salzigen Wind. Wie ein Geistwesen sah sie aus, wie eine der Wassernymphen, die in Britannien getanzt hatten, bevor die Römer kamen. Und dann – vielleicht um Tristan zu necken, vielleicht auch um ihre Gebete näher an Manawydan, den Meeresgott, heranzutragen –
lief sie geradenwegs in die tosende Brandung hinein. Sie stürzte sich in die Wogen, so daß sie ganz und gar verschwand, während Tristan nur verzweifelt am Strand stehen und in die wirbelnde weiße Masse der sich brechenden Wellen starren konnte. Dann tauchte ihr Kopf plötzlich wieder auf – glatt wie ein Otter in einem Bach. Sie winkte, schwamm ein Stückchen und watete dann in ihrem nassen, weißen Gewand, das ihr am erbärmlich mageren Körper klebte, zum Strand zurück. Ich konnte nicht umhin zu vermerken, daß sie kleine, hohe Brüste und lange schlanke Beine hatte. Tristan verbarg sie vor unseren Blicken, indem er sie in die Schwingen seines weiten schwarzen Mantels hüllte, sie dort, am Rand des Wassers, eng an sich zog und die Wange an ihre salznassen Haare schmiegte. Culhwch und ich traten von der Klippe zurück und ließen die Liebenden allein im Meereswind, der vom sagenhaften Lyonesse herüberwehte.
»Er kann sie nicht zurückschicken«, knurrte Culhwch.
»Er darf es nicht«, stimmte ich zu. Gemeinsam starrten wir über das sich unablässig bewegende Meer hinaus.
»Warum will Arthur sie dann nicht beruhigen?« fragte mich Culhwch zornig.
»Ich weiß es nicht.«
»Ich hätte sie nach Broceliande schicken sollen«, sagte Culhwch. Der Wind blähte seinen Mantel, als wir westwärts um die Hügel über der Bucht wanderten. Unser Pfad führte zu einem erhöhten Punkt, von dem aus wir auf einen großen, natürlichen Hafen hinabsehen konnten, wo das Meer ein Flußtal überflutet und eine Kette großer, gutgeschützter Meeresteiche gebildet hatte. »Halcwm«, nannte Culhwch den Hafen, »und der Rauch kommt aus den Salzwerken.« Er zeigte auf einen grauen Schimmer am anderen Ende der Seenkette.
»Es muß hier doch Kapitäne geben, die sie nach Broceliande bringen können«, sagte ich, denn mindestens ein Dutzend Schiffe ankerten im Schutz des Hafens.
»Tristan wollte nicht«, gab Culhwch bedrückt zurück. »Ich habe es ihm vorgeschlagen, mehr als einmal, aber er glaubt, Arthur sei sein Freund. Er vertraut Arthur. Er kann’s nicht erwarten, bis er König wird, denn dann wird er, wie er versichert, Arthur alle Speere Kernows zur Verfügung stellen.«
»Warum hat er seinen Vater nicht einfach getötet?« fragte ich bitter.
»Aus demselben Grund, aus dem keiner von uns diesen kleinen Bastard Mordred umbringt«, antwortete Culhwch.
»Einen König zu töten ist keine Kleinigkeit.«
An jenem Abend aßen wir wieder in der Halle. Wieder drängte Tristan Arthur, ihm mitzuteilen, wie lange er mit Iseult in Dumnonia bleiben dürfe, und wieder ging Arthur einer Antwort aus dem Weg. »Morgen, Lord Prinz«, versicherte er Tristan, »morgen werden wir über alles entscheiden.«
Am nächsten Morgen kamen jedoch zwei dunkle Schiffe mit hohen Masten, zerfetzten Segeln und hochaufragendem Bug in Form eines Falkenkopfes in Halcwms Seenkette
hereingesegelt. Die Duchten beider Schiffe waren dicht mit Männern besetzt, die, sobald die hoch aufragenden Klippen den Schiffen den Wind aus den Segeln nahmen, die Riemen einlegten und die langen, dunklen
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