Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
Leben meiner Tochter aufs Spiel zu setzen. Einige Feinde kletterten über die Palisade, andere rannten voll Angst zum Tor, wieder andere wurden in den Schatten zwischen den Hütten niedergemacht, und einige entkamen, indem sie neben den verschreckten Pferden einherhasteten, die an uns vorbei in die Nacht donnerten.
Dinas kam direkt auf mich zugeritten. Ich hob meinen Schild, zückte Hywelbane und rief ihm eine Herausforderung zu – aber im allerletzten Moment riß er sein Pferd herum, in dessen Augen das Weiße schimmerte, und schleuderte das Schwert gegen meinen Kopf. Dann ritt er zu seinem Zwillingsbruder hinüber, beugte sich, dort angekommen, aus dem Sattel und streckte den Arm aus. Scarach wich dem herangaloppierenden Pferd im letzten Moment aus, während Lavaine sich in die rettende Umarmung des Bruders emporschwang. Er ließ Dian los, und ich sah, wie sie zu Boden fiel, während ich hinter dem Pferd herjagte. Als das Pferd davongaloppierte, klammerte sich Lavaine verzweifelt an seinen Bruder, der sich genauso verzweifelt an die Tracht seines Sattelgestells klammerte. Ich schrie sie an, sie sollten sich stellen und mit mir kämpfen, aber die Zwillinge galoppierten ins Dunkel der Bäume hinein, wohin auch die anderen Überlebenden geflohen waren. Ich verfluchte ihre Seelen. Ich stand am Tor und nannte sie Natterngezücht, Feiglinge und Teufelsbrut.
»Derfel?« rief Ceinwyn hinter mir her. »Derfel?«
Ich ließ von meinen Flüchen ab und wandte mich zu ihr um.
»Ich lebe noch«, sagte ich zu ihr. »Ich lebe noch.«
»Ach, Derfel!« weinte sie, und jetzt erst erkannte ich, daß
Ceinwyn Dian in den Armen hielt und daß Ceinwyns weißes Gewand nicht mehr weiß war, sondern rot.
Ich lief zu ihr. Dian lag geborgen in den Armen ihrer Mutter. Ich ließ das Schwert fallen, riß mir den Helm vom Kopf und fiel neben den beiden auf die Knie. »Dian?« flüsterte ich.
»Dian, mein Liebling?«
Ich sah die Seele in ihren Augen flackern. Sie erkannte mich
– sie erkannte mich wirklich –, und sie erkannte ihre Mutter, bevor sie starb. Sekundenlang sah sie uns an, dann flog ihre junge Seele sanft wie eine Schwinge in der Dunkelheit davon, mit so wenig Aufhebens wie eine Kerzenflamme, die von einem Windhauch ausgeblasen wird. Bevor Lavaine zu seinem Bruder in den Sattel sprang, hatte er ihr die Kehle durchgeschnitten, und jetzt hörte ihr kleines Herz ganz einfach auf, sich zu wehren. Aber zuvor hatte sie mich erkannt. Ich weiß es genau. Sie erkannte mich, dann starb sie. Ich legte die Arme um sie und ihre Mutter und weinte wie ein Kind. Weinte um meine kleine, bezaubernde Dian.
Wir hatten vier unverletzte Gefangene gemacht. Der eine war ein Sachsengardist, die anderen drei waren belgische Speerkämpfer. Merlin verhörte sie, und als er fertig war, hackte ich sie alle vier in Stücke. Ich schlachtete sie ab. Ich tötete in einem Wutrausch, laut schluchzend und blind für alles außer Hywelbanes Gewicht und die leere Befriedigung darüber, wie die Klinge in ihr Fleisch drang. Einen nach dem anderen metzelte ich die vier Männer nieder, vor den Augen meiner Männer, vor Ceinwyns Augen und vor Morwennas und Serens Augen, und als die Männer tot waren, war Hywelbane von der Spitze bis zum Heft naß und rot, und immer noch hackte ich auf die leblosen Körper ein. Meine Arme waren
blutüberströmt, mit meiner Wut hätte ich die ganze Welt füllen können, und dennoch hätte nichts davon meine kleine Dian zurückgebracht.
Ich wollte mehr Männer töten, doch den feindlichen Verwundeten war bereits die Kehle durchschnitten worden, und so ging ich, als ich mich nirgendwo mehr rächen konnte, blutbesudelt, wie ich war, zu meinen verängstigten Töchtern und nahm sie in die Arme. Ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen, und sie konnten es ebensowenig. Ich hielt sie, als hinge mein Leben von dem ihren ab und trug sie dorthin, wo Ceinwyn noch immer Dians Leichnam in den Armen wiegte. Sanft löste ich Ceinwyns Arme und legte sie um ihre lebenden Kinder; dann nahm ich Dians kleinen Leichnam und trug ihn zu dem brennenden Vorratshaus. Merlin begleitete mich. Mit seinem Stab berührte er Dians Stirn, dann nickte er mir zu. Es war Zeit, wollte er damit sagen, Dians Seele die Schwerterbrücke überqueren zu lassen, aber zuerst küßte ich sie noch einmal. Dann legte ich ihren Leichnam nieder und schnitt mit meinem Messer eine dicke Strähne aus ihrem goldenen Haar, die ich sorgfältig in meinem Beutel verstaute. Nun erst hob ich
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