Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
Beim nächsten Mondenschein kamen wir an den Steinen vorbei, jenem großen, geheimnisvollen Kreis, in dem Merlin Arthur sein Schwert gegeben hatte und in dem wir vor so vielen Jahren Aelle das Gold ausgehändigt hatten, bevor wir nach Lugg Vale weitermarschierten. Nimue glitt zwischen den riesigen, überdeckten Steinpfeilern umher, berührte sie mit ihrem Stab und stellte sich dann genau in die Mitte, wo sie zu den Sternen emporblickte. Der Mond war fast voll, und sein Schein verlieh den Steinen einen bleichen Glanz. »Besitzen sie noch immer Zauberkraft?« fragte ich sie, als sie uns einholte.
»Ein wenig«, antwortete sie, »aber sie nimmt langsam ab, Derfel. All unsere Zauberkraft nimmt ab. Wir brauchen den Kessel.« Sie lächelte im Dunkeln. »Er ist jetzt nicht mehr weit entfernt«, behauptete sie. »Ich kann ihn spüren. Er ist noch lebendig, Derfel. Wir werden ihn finden und Merlin zurückgeben.« Sie sprach voll Leidenschaft, derselben Leidenschaft, die sie erfüllt hatte, als wir uns dem Ende der Dunklen Straße näherten. Arthur marschierte für seine Guinevere durch die Dunkelheit, ich für meine Rache und Nimue, um die Götter mit Hilfe des Kessels anzurufen; und doch waren wir immer noch wenige, während der Feinde viele waren.
Wir waren jetzt tief in Lancelots neuem Reich, aber nirgends sahen wir etwas von seinen Kriegern oder von den rasenden Christenbanden, die die Bauern angeblich noch immer terrorisieren sollten. Lancelots Speerkämpfer hatten in diesem Teil Dumnonias nichts zu suchen, denn sie bewachten die Straßen nach Glevum – während die Christen offenbar losgezogen waren, sein Heer zu unterstützen, weil sie glaubten, Christi Werk zu verrichten. Also wurden wir von niemandem belästigt, während wir von der großen Ebene zur Flußlandschaft an Dumnonias südlicher Küste
hinabmarschierten. Als wir die Festungsstadt Sorviodunum umgingen, rochen wir den Rauch der Häuser, die dort niedergebrannt worden waren. Und immer noch wurden wir von niemandem gestellt, weil wir unter dem nahezu vollen Mond marschierten und von Nimues Zaubersprüchen beschützt wurden.
In der fünften Nacht erreichten wir das Meer. Wir waren an der römischen Festung Vindocladia vorbeigeschlichen, wo Arthur eine Garnison von Lancelots Truppen vermutete, und lagen bei Morgengrauen versteckt in den tiefen Wäldern oberhalb des Bachlaufs, der sich beim Seepalast zu einer kleinen Bucht verbreiterte. Der Palast lag höchstens eine Meile entfernt, und wir erreichten ihn unentdeckt, weil wir uns im eigenen Land lautlos wie Nachtgeister bewegten. Auch unseren Angriff würden wir bei Nacht ausführen. Da Lancelot Guinevere als Schutzschild benutzte, würden wir ihm diesen Schild nehmen und dann unsere Speere bis in sein Verräterherz tragen. Aber nicht um Mordreds willen, nein, jetzt kämpften wir für Arthur und für das glückliche Königreich, das wir jenseits dieses Krieges erahnten.
Wie die Barden es heutzutage formulieren: Wir kämpften für Camelot.
Die meisten Speerkämpfer schliefen an jenem Tag, nur Arthur, Issa und ich krochen bis an den Waldrand und spähten über das enge Tal zum Seepalast hinüber.
Er sah so schön aus mit seinen schneeweißen Mauern, die in der aufgehenden Sonne glänzten! Von einer kleinen Anhöhe aus, die ein wenig tiefer lag als der Palast, blickten wir auf seinen Ostflügel. Da die Ostmauer nur von drei kleinen Fenstern durchbrochen war, wirkte sie auf uns wie eine große weiße Festung auf einem grünen Hügel, obwohl diese Illusion ein wenig durch das riesige Zeichen des Fisches beeinträchtigt wurde, das ungeschickt mit Pech auf die weißgetünchte Mauer gepinselt worden war: vermutlich um den Palast vor dem Zorn wandernder Christen zu schützen. Es war die langgestreckte Südfassade mit Blick auf die Bucht und das Meer, das hinter einer Sandbank im Süden der Bucht lag, wo die römischen Baumeister die Fenster eingebaut hatten. Die Küchen, Sklavenquartiere und Kornspeicher hatten sie auf das nördliche Gelände hinter der Villa verbannt, wo auch Gwenhwyvachs Blockhaus stand. Inzwischen gab es dort – vermutlich für die Speerkämpfer und ihre Familien – außerdem noch ein kleines Dorf aus strohgedeckten Hütten, aus denen von Kochfeuern Rauchsäulen aufstiegen. Hinter den Hütten lagen Obstgärten und Gemüsebeete, und dahinter lagen, umgeben von tiefen Wäldern, die in diesem Teil des Landes besonders dicht waren, unvollständig gemähte Wiesen.
Vor dem Palast und genau so,
Weitere Kostenlose Bücher