Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
Kräften zehrten. Nimue war die erste, die das andere Ende des Sumpfes erreichte. Von Grasbüschel zu Grasbüschel springend, wies sie uns einen Pfad, und schließlich erreichte sie festen Boden, auf dem sie heftig auf und ab hüpfte, um uns zu beweisen, daß wir bald in Sicherheit seien. Anschließend erstarrte sie ein paar Sekunden, bevor sie mit Merlins Stab in die Richtung zeigte, aus der wir gekommen waren.
Als wir uns umdrehten, sahen wir, daß die dunklen Reiter uns gefolgt waren, nur waren sie inzwischen mehr geworden; eine ganze Horde zerlumpter Blutschilde beobachtete uns vom anderen Ufer des Sumpfes aus. Drei zerfetzte Banner flatterten über ihnen, und eins dieser Banner wurde in ironischem Salut gehoben, bevor die Reiter ihre Pferde nach Osten wandten.
»Ich hätte dich niemals mitnehmen dürfen«, sagte ich zu Ceinwyn.
»Du hast mich nicht mitgenommen, Derfel«, widersprach sie.
»Ich bin von selbst mitgekommen.« Mit einem behandschuhten Finger berührte sie mein Gesicht. »Und genauso werden wir auch wieder zurückkehren, mein Liebster.«
Vom Sumpf aus kletterten wir bergauf und fanden hinter dem Grat lauter kleine Felder, die zwischen zähem Morast und verstreuten Felsbrocken lagen. Wir brauchten einen Unterschlupf für die Nacht und fanden ihn in einer Ansiedlung von acht Steinhütten, die von einer speerhohen Mauer umgeben waren. Der Ort lag verlassen, obwohl dort eindeutig Menschen lebten, denn die kleinen Steinhütten waren sauber gefegt worden, und die Asche in den Feuerstellen war noch warm. Wir rissen das Grasdach von einer der Hütten und schnitten das Holz der Dachbalken zurecht, um damit ein Feuer für Merlin zu machen, der wieder vom Fieber geschüttelt wurde und phantasierte. Wir stellten Wachen auf, dann warfen wir die Pelze ab und versuchten unsere triefenden Stiefel und Beinbinden zu trocknen.
Als schließlich der allerletzte Lichtschimmer vom grauen Himmel verschwunden war, stieg ich auf die Mauer und spähte suchend ins Land hinaus. Ich sah nichts.
Während der ersten Hälfte der Nacht standen vier Mann von uns Wache, dann übernahmen Galahad und drei seiner Speerkämpfer den Rest der Wache in der regennassen Finsternis, und kein einziger von uns vernahm etwas anderes als den Wind und das Prasseln des Feuers in der Hütte. Wir hörten nichts, wir sahen nichts, und doch tropfte im ersten, matten Morgenlicht der frisch abgeschlagene Kopf eines Schafes sein Blut auf einen Teil der Mauer.
Wütend stieß Nimue den Schafskopf von der Mauerkrone, dann schrie sie eine Herausforderung gen Himmel. Sie zog einen Beutel mit einem grauen Pulver heraus, das sie auf das frische Blut streute, dann klopfte sie mit Merlins Stab an die Wand und erklärte uns, sie habe den Fluch abgewehrt. Wir glaubten ihr, weil wir ihr glauben wollten, genauso wie wir glauben wollten, daß Merlin nicht im Sterben lag. Aber er war totenbleich, atmete flach und gab keinen Laut von sich. Wir versuchten ihm die letzten Brocken Brot in den Mund zu stecken, aber er spie die Krumen ungeschickt aus. »Wir müssen noch heute den Kessel finden«, stellte Nimue ruhig fest, »sonst wird er sterben.« Also suchten wir unsere Lasten zusammen, nahmen die Schilde auf den Rücken, griffen uns die Speere und folgten ihr nordwärts.
Nimue führte uns. Merlin hatte ihr alles über die heilige Insel erzählt, was er wußte, und dieses Wissen führte uns den ganzen Vormittag hindurch nach Norden. Kurz nachdem wir unser Obdach verlassen hatten, tauchten die Blutschilde auf. Nun, da wir uns endlich dem Ziel näherten, wurden sie immer frecher, so daß jederzeit mindestens zwanzig von ihnen zu sehen waren, und zuweilen sogar dreimal soviel. Sie bildeten einen lockeren Ring um uns, achteten aber sorgfältig darauf, sich außerhalb der Reichweite unserer Speere zu halten. Der Schneeregen hatte bei Tagesanbruch aufgehört. Es blies nur noch ein kalter, feuchter Wind, der das Gras auf den Mooren peitschte und die schwarzen Fetzen an den Mänteln der dunklen Reiter flattern ließ.
Kurz nach Mittag erreichten wir den Ort, den Nimue als Llyn Cerrig Bach bezeichnete. Der Name bedeutet »See der kleinen Steine«. Es handelte sich um eine dunkle, seichte Wasserfläche, die rings von Sumpflöchern umgeben war. Hier, sagte Nimue, hätten die alten Britannier ihre heiligsten Riten abgehalten, und hier werde nun auch unsere Suche beginnen; uns aber erschien es ein recht öder Ort, um nach dem kostbarsten Kleinod Britanniens zu suchen. Im Westen
Weitere Kostenlose Bücher