Artus-Chroniken 2. Der Schattenfürst
damit zeigen! Versuch seine Macht zu spüren. Das ist kein Ochsentreiber, mein Junge, das ist der Stab eines Druiden!«
Ich hielt den Stab nach Westen. Diwrnachs dunkle Reiter schienen seine Magie zu wittern, denn ihre Hexenmeister begannen plötzlich zu heulen, und eine Rotte von Speerkämpfern kletterte den Hang herauf, um ihre Waffen nach mir zu werfen.
»Jetzt!« rief Merlin, als die Speere weiter unten zu Boden fielen. »Jetzt gib ihm Kraft, Derfel, gib ihm Kraft!« Ich konzentrierte mich auf den Stab, in Wahrheit aber spürte ich gar nichts, obwohl Merlin mit meinen Bemühungen zufrieden zu sein schien. »Jetzt bring ihn herunter«, wies er mich an,
»und ruh dich aus. Morgen früh haben wir einen anstrengenden Marsch vor uns. Gibt es vielleicht irgendwo noch ein bißchen Käse? Ich könnte einen ganzen Sack voll davon verdrücken.«
Wir lagen in der Kälte. Merlin weigerte sich, über den Kessel und seine Krankheit zu sprechen, aber ich spürte, wie sich unsere Stimmung veränderte. Wir hatten plötzlich wieder Hoffnung geschöpft. Wir würden nicht sterben, und schließlich entdeckte Ceinwyn, was zu unserer Rettung führen konnte. Sie stieß mich an und zeigte dann auf den Mond, und ich sah, daß
das, was bisher ein klares, deutliches Rund gewesen war, von einem Kranz schimmernden Dunstes umgeben wurde. Dieser Nebelkranz wirkte wie ein Ring aus überpuderten Edelsteinen, so hart und hell strahlten die winzigen Punkte rings um den vollen Silbermond.
Merlin kümmerte sich nicht um den Mond, sondern redete noch immer von Käse. »Da war mal eine Frau in Dun Seilo, die hat den köstlichsten Weichkäse gemacht«, erzählte er uns.
»Wenn ich mich recht erinnere, hat sie ihn in Brennesselblätter gewickelt und dann sechs Monate lang in einer Holzschüssel ruhen lassen, die zuvor mit Widderurin getränkt worden war. Widderurin! Manche Leute hegen den absurdesten
Aberglauben, aber der Käse war trotzdem ganz köstlich.« Er kicherte. »Sie hat ihren bedauernswerten Gemahl gezwungen, den Widderurin zu sammeln. Wie er das wohl gemacht hat? Ich habe nie danach fragen mögen. Hat er ihn bei den Hörnern gepackt und gekitzelt? Oder hat er seinen eigenen Urin genommen, ohne es ihr zu sagen? Das hätte ich jedenfalls getan. Es wird wärmer, meint ihr nicht?«
Der glitzernde Eisnebel um den Mond war verblaßt, aber das hatte die Umrisse des Mondes nicht weicher werden lassen. Nein, sie wurden von einem dünneren Nebel umflossen, der nunmehr von einem leichten Westwind davongetrieben wurde, der tatsächlich ein wenig wärmer war. Die strahlenden Sterne waren auf einmal verschwommen, der kristallharte Frost auf den Felsen schmolz zu nassem Glanz, und wir alle hörten auf zu zittern. Auch unsere Speerspitzen konnten wir wieder berühren. Allmählich bildete sich Nebel.
»Die Dumnonier behaupten natürlich, ihr Käse sei der beste von ganz Britannien«, erklärte Merlin mit ernster Miene, als hätte keiner von uns Besseres zu tun, als einem Vortrag über Käse zu lauschen. »Und ich muß zugeben, daß er sehr gut sein kann, aber er ist viel zu oft ganz einfach zu hart. Einmal hat sich Uther an einem Stück Käse von einer Farm in der Nähe von Lindinis einen Zahn ausgebrochen. Mitten
durchgebrochen! Wochenlang hat der arme Kerl Schmerzen gelitten. Er konnte es einfach nicht ertragen, sich einen Zahn ziehen zu lassen. Statt dessen verlangte er von mir, daß ich meine Magie einsetze, aber seltsam, bei Zähnen wirkt Magie nicht. Bei Augen, ja, bei Eingeweiden unfehlbar und manchmal sogar beim Hirn, obwohl es Hirne in Britannien heutzutage kaum noch gibt. Aber bei Zähnen? Kein einziges Mal. Sobald ich Zeit habe, muß ich an diesem Problem arbeiten. Allerdings macht es mir großen Spaß, Zähne zu ziehen!« Er lächelte breit, um uns seine eigenen, noch völlig intakten Zähne zu zeigen. Auch Arthur war mit perfekten Zähnen gesegnet, wir anderen aber wurden ständig von Zahnschmerzen geplagt.
Als ich aufblickte, waren die obersten Felsen schon fast ganz von Nebel umhüllt, der von Minute zu Minute dichter wurde. Es war ein Druidennebel, dicht und weiß unter dem vollen Mond, ein Nebel, der ganz Ynys Mon in seinen
undurchdringlichen Mantel hüllte.
»In Siluria«, sagte Merlin, »tischen sie den Leuten eine Schüssel mit weißlichem Brei auf und nennen es Käse. Das Zeug ist so widerlich, daß es nicht einmal die Mäuse fressen wollen, aber was kann man schon von Siluria erwarten?
Wolltest du mir etwas sagen, Derfel?
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