Arztromane
Grinsen hoch.
„Der andere Ausdruck gefällt mir besser“, bemerke ich, während wir den Weg fortsetzen.
„Mir auch, aber in Frauenkleidern herumzulaufen war auch nicht wirklich meins.“ Yoomee seufzt und wirft mir ein schelmisches Grinsen zu. „Würde dir das gefallen?“
Moment! Weiß er etwa, dass wir am gleichen Ufer fischen? Ich wage nicht in anzusehen und schüttele stumm den Kopf.
Inzwischen haben wir ein kleines Lokal erreicht, in dem , außer Getränken , kleine Snacks gereicht werden. Da wir beide Hunger haben kehren wir dort ein. Ein Tisch für zwei Pers o nen ist noch frei und schon bald haben wir je ein frisch gezapftes Pils und einen Teller M i nestrone vor uns stehen.
Ich beobachte Yoomee heimlich während des Essens und er gefällt mir immer mehr. Seine Ruhe strahlt auf mich aus, tut mir gut und plötzlich wird mir klar, dass ich den ganzen Tag noch nicht an Andre gedacht habe. Bin ich etwa auf dem Weg ihn zu vergessen? Das will ich aber gar nicht, ich will doch nur … Mein Hunger ist verflogen, ich lege den Löffel beiseite.
„Was ist?“
Yoomees fragender Blick trifft mich über den Tisch hinweg.
„Nur … eine schmerzliche Erinnerung“, flüstere ich und kämpfe so überraschend mit den Tränen, dass mir doch glatt eine über die Wange kullert.
„Entschuldige“, nuschle ich, springe auf und laufe zu den Toiletten.
In einer der Kabinen lehne ich mich gegen die Wand und lass den Schmerz raus, den ich selbst herbeigerufen habe. Das salzige Nass rinnt mir übers Kinn und tropft auf mein Hemd, doch ich halte es nicht davon ab.
Jemand betritt den Raum, klopft leise an die Kabinentür und flüstert: „Martin? Ist alles in Ordnung?“
Mir sind die Tränen zwar peinlich, aber das Bedürfnis nach menschlicher Nähe überwiegt. Ich schließe auf und als Yoomee die Bescherung sieht, zieht er mich schweigend und wie selbstverständlich in seine Arme. Sein erdiger Duft umhüllt mich, sein Körper strahlt Hitze aus. Klammheimlich streiche ich über sein Haar und grabe meine Nase in die weiche Haut seines Halses. Die Berührung wirkt wie Balsam auf meine Nerven, ich werde ruhiger.
„Da ist so viel Schmerz in dir“, murmelt Yoomee.
Ich weiß nicht , wie lange wir schon so dastehen, als das Klappen der Tür uns jäh auseina n der reißt. Der Ankömmling geht in die andere Kabine, dabei wirft er uns einen angeekelten Blick zu. Yoomee drängt mich zum Waschbecken, reicht mir stumm ein Papierhandtuch und wartet, bis ich mein Gesicht ein wenig gekühlt und abgetrocknet habe. Dann geht er voran zurück ins Lokal. Meine Suppe ist kalt geworden.
„Wenn du magst , lade ich dich noch zu mir ein“, meint Yoomee, nachdem wir das Bistro ve r lassen haben und wieder an der Alster entlangschlendern.
Bei jedem anderen hätte ich eine Anmache vermutet, doch bei ihm ist es eine schlichte Ei n ladung, die ich gern e annehme. Meine kalte Wohnung, in der immer noch vieles an Andre erinnert, reizt mich nicht.
Yoomee wohnt, wie ich, in St. Georg und daher gar nicht weit weg. Er erklimmt vor mir die Treppe eines Altbaus und schließt im ersten Stock eine Tür auf. Wie auch bei mir, sind die Decken hoch und der Fußboden aus Holz. Ich werde in ein geräumiges Zimmer geführt, in dem nur wenige Möbel stehen.
Dominiert wird der Raum von einem Kamin, in dem sogar echtes Holz liegt. Der Duft von Kiefernöl hängt in der Luft, zusammen mit einem würzigen Raucharoma. Ein dicker Teppich liegt vor dem breiten Ledersofa, dessen brauner Bezug kuschelig aussieht. Trommeln reihen sich an der Wand, ein paar Fotografien lassen die Wände nicht zu kahl wirken.
„Setz dich, ich mache Feuer.“
Yoomee zeigt zur Couch, dreht sich zum Kamin und kniet davor nieder. Ich lass mich auf das weiche Leder plumpsen und den Raum auf mich wirken. Natürlich habe ich Federschmuck und allerlei Gedöns erwartet und bin etwas enttäuscht, dass dem nicht so ist, aber es hätte auch überhaupt nicht zu diesem ruhigen Mann gepasst.
„Magst du Tee?“
Yoomee ist aufgestanden und schaut zu mir rüber. Ich nicke stumm, lächle ihm zu und das Aufblitzen einer Erwiderung auf seinem Gesicht fährt mir direkt in den Magen. Dieser Mann ist definitiv Dynamit, auch wenn seine Hülle eine andere Sprache spricht.
Ich gucke ins Feuer, lausche auf das Knacken des Holzes und darauf, wie mein Gastgeber in der Küche hantiert. Fühlt sich gut an, wohl und behütet. In seiner Gegenwart kann mir nichts
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