Ascalon – Das magische Pferd, Band 1: Ascalon – Das magische Pferd. Die Wächter des Schicksals (German Edition)
lassen, was sie wollte. Niemand würde ihr Vorschriften machen. Niemand konnte ihr etwas verbieten. Und während sie den Striegel langsam über Ascalons Fell führte, reifte in ihr ein gewagter Entschluss …
»Soll ich hierbleiben und warten, bis deine Mutter zurückkommt?«, hörte sie Nadine in ihre Gedanken hinein fragen. »Ich meine, es ist doch irgendwie blöd, wenn ich jetzt fortreite und dich hier allein zurücklasse.«
»Danke, aber das musst du nicht.« Muriel ließ den Striegel in den Putzkasten fallen und lief in den Stall. Kurze Zeit später kam sie mit Trense und Zügel in der Hand wieder heraus. »Ich bleibe nämlich nicht hier!«, verkündete sie bestimmt. »Ich komme mit.«
»Du … du willst Ascalon reiten?«, fragte Nadine überrascht. »Du hast doch gesagt …«
»Ich weiß, was ich gesagt habe«, fiel Muriel ihrer Freundin ins Wort. »Aber morgen geht Ascalon fort und ich sehe ihn nie wieder. Ich muss diese Gelegenheit unbedingt ausnutzen – verstehst du? Es muss ja nicht weit sein, nur ein Mal, ein einziges Mal, möchte ich mit Ascalon ausreiten.«
»Ich weiß nicht recht.« Nadine zog die Stirn kraus. »Und wenn nun etwas passiert?«
»Was soll schon passieren?« Muriel machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ehe meine Mutter zurück ist, steht Ascalon wieder im Stall. Und wenn du es für dich behältst, bekommt niemand etwas von dem kleinen Ausritt mit.«
»Ich weiß von nichts.« Nadine hob die Hand wie zum Schwur.
»Na, dann ist ja alles klar.« Muriels schlechte Laune war wie weggeblasen. »Worauf warten wir dann noch?«, sagte sie voller Tatendrang und machte sich daran, Ascalon die Trense überzustreifen.
Der Ausritt wurde für Muriel zu einem der schönsten, den sie je unternommen hatte. Ascalon trabte nicht, er schwebte geradezu über die Wiesen und Waldwege. Die blonde Mähne bauschte sich im Zweitakt der Hufe und das braune Fell schimmerte seidig im Sonnenlicht. Seine Gangart war schwungvoll und bodengewinnend, ganz so, wie man es von einem erfahrenen Dressurpferd erwarten konnte, sein Verhalten geradezu vorbildlich.
Muriel musste die Zügel kaum einsetzen, um ihn zu führen. Meist genügte ein leichter Schenkeldruck, um den Richtungswechsel anzuzeigen, und oft war nicht einmal das nötig, weil Ascalon den Befehl zu erraten schien, noch ehe Muriel ihn überhaupt zu etwas aufforderte.
Nadine kam aus dem Staunen nicht heraus. Nachdem sie so viel über den widerspenstigen Patienten gehört hatte, konnte sie kaum glauben, dass es sich um ein und dasselbe Pferd handelte. Fast ein wenig neidisch folgte sie Muriel auf Fanny durch den Wald. »Wirklich schade, dass du ihn nicht behalten kannst«, sagte sie zu Muriel, als sie nach zwei Stunden wieder auf den Waldweg einbogen, der zum Birkenhof zurückführte.
»Das finde ich auch.« Muriel seufzte. Sie ließ Ascalon im Schritt neben Fanny hergehen, um den Ausritt noch etwas hinauszuzögern. »Aber Mam hat recht. Ich darf mein Herz nicht an ihre Patienten hängen. Außerdem«, sie tätschelte Ascalon liebevoll den Hals, »ist er viel zu teuer. So ein Luxuspferd können wir uns nicht leisten.«
»Das klingt, als hättest du es auswendig gelernt.« Nadine schaute ihre Freundin prüfend von der Seite an. »Neulich am Telefon hast du dich ganz anders angehört.«
»Ich habe noch mal mit meiner Mutter gesprochen«, beeilte sich Muriel zu erklären. Das war zwar nicht wirklich der Grund für den vermeintlichen Sinneswandel, aber das musste sie Nadine ja nicht auf die Nase binden. Das coole Gerede war nichts weiter als ein Schutzwall, den sie um sich errichtet hatte. Innerlich hatte sich nichts an ihrem Kummer geändert. Aber da der Abschied von Ascalon nun mal unausweichlich war, wollte sie sich vor den anderen nicht noch einmal eine Blöße geben, sondern groß und vernünftig erscheinen.
»Na, wie auch immer, ich finde das jedenfalls echt cool, dass du das so gelassen sehen kannst«, hörte sie Nadine sagen. »Ich würde mir bestimmt die Augen aus dem Kopf heulen vor Kummer.«
Muriel antwortete nicht.
Die Augen ausheulen vor Kummer werde ich mir heute Abend bestimmt auch noch, dachte sie bei sich. Obwohl sie äußerlich vernünftig wirkte, brodelte in ihr bereits ein wüster Gefühlssturm, der immer stärker wurde, je näher sie dem Birkenhof und damit dem Ende dieses einmaligen Ausritts kamen. Nur mit größter Mühe konnte sie den Wunsch unterdrücken, Ascalon auf der Stelle zu wenden und noch einmal mit ihm in den Wald zu
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