Ascalon – Das magische Pferd, Band 1: Ascalon – Das magische Pferd. Die Wächter des Schicksals (German Edition)
auftauchen.« Sie sagte das so selbstverständlich, als würde sie ihrer Mutter erklären, sie könne nicht mit den Stallklamotten in die Schule gehen.
»Das wirst du auch nicht.« Die Göttin schmunzelte. »Und nun komm. Ascalon wartet schon.«
Irgendwie hatte Muriel gedacht, dass sie neue Kleider bekommen würde, ehe sie losritt. Doch nichts geschah. Die Göttin führte sie nur hinaus auf die Lichtung, wo Ascalon sie bereits erwartete. Ungeduldig scharrte er mit dem Huf.
Muriel war unschlüssig, was sie nun tun sollte. In der modernen Jeans wagte sie nicht aufzusitzen und wartete deshalb, was die Göttin zu ihr sagen würde. Doch die wandte sich zunächst an Ascalon. Sanft strich sie ihm über den langen Nasenrücken, sah ihn an und ließ die Hand dann auf der breiten Stelle oberhalb der Augen verweilen.
Ascalon stand ganz still. Die Ohren aufgerichtet, schaute er die Göttin aus seinen dunklen Augen an und obwohl kein Wort laut gesprochen wurde, wurde Muriel das Gefühl nicht los, dass er der Göttin lauschte. Endlose Sekunden verstrichen, dann nahm die Göttin die Hand fort und Ascalon schüttelte die Mähne wie zu einem Nicken.
»Er ist bereit.« Die Göttin schritt auf Muriel zu. »Du kannst aufsitzen.«
»Aber …« Muriel zupfte verlegen an ihrer Jeans.
»Mach dir um deine Kleider keine Sorgen«, sagte die Göttin leichthin. »Ascalon wird dich in die gewünschte Zeit tragen. Alles andere wird sich richten.« Sie zwinkerte Muriel zu und fügte hinzu: »Vertrau mir.«
Keine zwei Minuten später saß Muriel auf Ascalons Rücken. Ihr Herz klopfte wie wild. Sie hatte furchtbare Angst vor dem, was kommen mochte, und hätte am liebsten alles, was sie in dieser Nacht erlebt hatte, ungeschehen gemacht.
Warum habe ich dumme Gans überhaupt den Mund aufgemacht?, schalt sie sich in Gedanken. Hätte ich doch bloß nichts gesagt. Aber noch ist es nicht zu spät. Vielleicht kann ich jetzt noch …
Etwas streifte ihr Bewusstsein und sie führte den Gedanken nicht zu Ende. Es war ein sanftes und tröstliches Gefühl, ganz so, wie sie es früher oft erlebt hatte, wenn sie nach einem Albtraum zu ihrer Mutter ins Bett gekrochen war. Es war die Gewissheit, nicht allein zu sein, und das Gefühl, sich ganz auf den andern verlassen zu können. Im ersten Moment konnte sie sich nicht erklären, warum das Gefühl gerade jetzt so stark in ihr aufflammte. Dann hörte sie Ascalon schnauben und wusste, woher es kam.
Du spürst es vielleicht noch nicht, aber zwischen dir und ihm besteht ein enges Band, hatte die Göttin gesagt. Doch erst jetzt begriff sie wirklich, was das bedeutete. Ascalon spürte ihre Furcht und wollte sie beruhigen. Er, der schon so oft in die Vergangenheit gereist war, wollte ihr die Angst vor dem ersten Ritt nehmen und sandte ihr deshalb einen beruhigenden Gedanken.
Muriel wurde ganz warm ums Herz. Das war es also, was die Göttin mit der Seelenverwandtschaft gemeint hatte. Ascalon konnte ihre Gefühle spüren, als wären es seine eigenen, und irgendwann, da war sie sich ganz sicher, würde sie auch seine Gefühle wahrnehmen können. Ascalon war mehr als nur ihr Pferd. Er war ihr Begleiter, ihr Freund, ihr Bruder im Geiste und ihr Beschützer. Er war das alles und noch viel mehr und tief in sich fühlte Muriel neben all den Ängsten auch ersten Stolz aufkeimen.
Du bist eine Auserwählte, wisperte eine Stimme in ihr. Gemeinsam mit Ascalon wirst du Abenteuer erleben, so wie du es dir schon immer gewünscht hast. Muriel, die Wächterin des Schicksals, die Hüterin der Mysterien. Muriel, die Beschützerin der Welt …
»Bist du bereit?« Die Stimme der Göttin riss Muriel aus ihren Gedanken. Ihr Herz klopfte immer noch wie wild, aber nicht mehr vor Furcht, sondern vor Aufregung. Die Angst war nicht verflogen, aber sie hatte sich geändert. Muriel fühlte sich wie ein Knappe vor dem Ritterschlag, wie ein Astronaut vor dem Start des Raumschiffs, wie ein Bungee-Springer vor dem ersten Sprung. Die Angst war noch da, aber sie war ihr willkommen. Sie war bereit.
Mehr als ein kurzes Nicken brachte sie nicht zustande, doch das war auch nicht nötig.
»Halte dich gut an der Mähne fest, der Ritt wird etwas ungemütlich sein«, riet ihr die Göttin und fügte hinzu: »Aber was auch geschieht, du musst keine Angst haben.«
Muriel nickte schweigend. Sie hatte einen dicken Kloß im Hals und bekam kein Wort heraus.
»Denke immer daran, dass du in der Vergangenheit nur ein Gast bist«, ermahnte sie die Göttin noch.
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