Ascalon – Das magische Pferd, Band 2: Ascalon – Das magische Pferd. Das Geheimnis der Maya (German Edition)
Entscheidung nun aufgedrängt wurde.
»Wie ist dein Name?« Immer noch schwang Misstrauen in der Stimme der Frau mit. »Und wo kommst du her?«
»Ich bin Mucen, aus Na… Naran…« Muriel stockte. Wie hatte Ah Hunahpu die Stadt doch gleich genannt?
Naranda, Naranna, Narenda? Unzählige Namen, die alle ähnlich und irgendwie auch richtig klangen, schwirrten ihr im Kopf umher. Welchen sollte sie nehmen?
Muriel biss sich auf die Lippen und senkte den Blick, um Zeit zu gewinnen. Aber noch ehe sie zu einer Antwort ansetzen konnte, kam ihr die Frau zu Hilfe.
»Aus Naranjo?«, erkundigte sie sich und dieses Mal schwang echtes Erstaunen in der Stimme mit. »Da hast du aber eine weite Reise hinter dir.«
»Oh, ja. Das habe ich.« Muriel nickte hastig, froh, noch einmal davongekommen zu sein.
»Bist du allein?«, wollte die Frau wissen.
»Ja.« Muriel stockte wieder. Diesmal jedoch war es wohlgeplant. Sie wartete noch zwei Atemzüge lang, ehe sie mit deutlich gesenkter Stimme fortfuhr: »Meinen Vater kenne ich nicht. Mutter ist gestorben.«
»Das tut mir leid.« Der Tonfall der Frau verriet nicht, ob sie es wirklich so meinte. Aber immerhin wirkte sie schon nicht mehr so misstrauisch. »Wir haben viele Waisen hier«, sagte sie. »Wer gewillt ist, den Weg der Priesterinnen zu gehen, ist hier willkommen.«
»Davon habe ich gehört«, sagte Muriel. »Man sagte mir, ich solle mich Ixchel, der Obersten Priesterin, anvertrauen, aber«, sie hob die Hände zu einer ratlosen Geste, »ich weiß nicht, wo sie ist.«
»Du stehst vor ihr.« Zum ersten Mal sah Muriel die Frau lächeln. Es war ein gedämpftes Lächeln, das die Mundwinkel nicht erreichte, aber es war eindeutig ein Lächeln und es trug dazu bei, dass Muriel Vertrauen fasste. »Der Zeitpunkt deiner Ankunft ist etwas unglücklich«, hörte sie die Priesterin sagen. »Ganz Tikal ist in großer Sorge um den ehrwürdigen Priesterfürsten Ah Coyopa. Cumhau*, der Gott der Unterwelt, streckt nach einem Schlangenbiss seine dunklen Hände nach ihm aus. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, den Herrn des Todes durch Gebete und Opfergaben umstimmen zu können. Jeden Morgen und jeden Abend beten alle in Tikal für das Leben Ah Coyopas.«
Darum sind die Menschen nach dem Trompetensignal also alle verschwunden, dachte Muriel und endlich verstand sie auch, warum Ah Hunahpu es so eilig gehabt hatte.
Laut sagte sie: »Ich hoffe, die Gebete werden erhört.«
»Die Priester verkünden, er kämpfe tapfer.« Ein Schatten huschte über das Gesicht der Obersten Priesterin. »Doch noch wagt niemand zu sagen, wer das Ringen am Ende gewinnen wird. Das Gift der Jararaca* ist sehr gefährlich.« Sie straffte sich und wechselte das Thema. »Doch nun zu dir. Du sagtest, du möchtest in der Schule der Priesterinnen aufgenommen werden?«
»Wenn … wenn das möglich ist.« Muriel flüsterte fast. Es wirkte schüchtern, war aber Ausdruck ihrer Unsicherheit. Worauf ließ sie sich da bloß ein?
»Du bist uns willkommen.« Die Frau gab ihr ein Handzeichen und Muriel folgte ihr schweigend durch das große Gebäude. Ihr Puls raste, ihre Knie waren weich und in ihren Gedanken flüsterte es immer wieder, dass sie gerade dabei war, einen verhängnisvollen Fehler zu machen. Aber für eine Umkehr war es jetzt zu spät.
Ixchel führte sie in einen großen Raum, der wie schon die Halle am Eingang mit bunten Wandbehängen geschmückt war. Durch senkrechte Schlitze im Mauerwerk fiel das Licht der untergehenden Sonne in dunstigen Streifen auf 30 dicke Schilfmatten am Boden, die in doppelter Reihe so ausgebreitet lagen, dass in der Mitte eine breite Gasse frei blieb. Im ersten Augenblick glaubte Muriel, es wären Teppiche. Bei genauem Hinsehen bemerkte sie jedoch, dass zu jeder Matte auch eine Binsentruhe gehörte, die an deren Kopfende an der Wand stand.
Die Oberste Priesterin ging ein Stück in den Raum hinein, deutete auf eine der Matten und sagte: »Hier wirst du schlafen.« Die Worte machten deutlich, was Muriel schon vermutet hatte. Der große Raum war ein Schlafsaal. Die Schlafplätze wirkten auf sie alle gleich. Wie in einer Kaserne. Nirgends fand sie einen Hinweis darauf, dass sie benutzt wurden, und nicht ein einziger persönlicher Gegenstand kündete davon, wer sich darauf des Nachts zur Ruhe legte.
Muriel dachte an ihr eigenes Zimmer zu Hause, das von vermeintlich unentbehrlichen Gegenständen geradezu überquoll, und stellte betroffen fest, mit wie wenig Hab und Gut die Mädchen hier
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