Asche auf sein Haupt: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
Doch selbst damals hatte dem Haus in den Augen der jungen Petra schon etwas gefehlt. Ihr eigenes Zuhause war ein lauter, unaufgeräumter Ort gewesen, erfüllt vom Lachen und Gezänk der beiden Schwestern, den verschiedenen zugelaufenen oder gefangenen Tieren, die sie adoptiert hatten, und ihrer Mutter in der Küche über einem offenen Kochbuch, umgeben von Töpfen, während ihr Vater tapfer die ebenso fremdartigen und wie misslungenen Speisen aß, während er sich insgeheim nach nichts mehr als einem gewöhnlichen Stück Fleisch mit Kartoffeln und Gemüse gesehnt hatte.
Der Crown’sche Haushalt war nach außen hin perfekt gewesen, jedes Ding an seinem Platz, ein Bild wie aus einem Hochglanzmagazin für exklusive Einrichtungsmöbel. Doch es war so still gewesen, dass Amanda Crowns Stöckelschuhe lautstark über das Parkett gehallt hatten, wenn sie zur Tür gekommen war, um Besucher zu begrüßen. Amandas Erscheinung war glamourös, elegant und rastlos. Für gewöhnlich hatte sie fließende Gewänder aus gekräuselter Seide oder sonstigen teuren Stoffen getragen sowie geschickt drapierte Schals, welche sich in raffinierten Kurven um ihre Figur legten wie von unsichtbaren Nadeln gehalten, denn sie schienen sich niemals zu bewegen. Sie hatte die junge Petra und Kit und die Mutter der beiden Mädchen gleichermaßen beeindruckt. Vor einem Besuch in Key House hatte Mrs Stapleton jedes Mal viel Mühe darauf verwandt, ein nur wenig getragenes Kleidungsstück zu suchen. Meistens hatte sie ein oder zwei Pfund zugenommen, seit sie das Kleidungsstück das letzte Mal getragen hatte, oder aber die Länge des Rocks war nicht mehr aktuell. Mrs Stapleton saß dann immer auf Amandas weißem Ledersofa und zupfte unzufrieden an ihrem Rocksaum, während Amanda je nach Tageszeit Tee oder Kaffee in die Tassen aus feinem Porzellan einschenkte.
Petra, ebenfalls in ihre Sonntagskleidung gezwängt, hatte sich jedes Mal gewunden in einer Mischung aus Verlegenheit und Mitgefühl wegen der Unbeholfenheit ihrer Mutter. Sie hatte mitbekommen, wie ihr Vater Amanda als »Modepuppe« bezeichnet hatte, doch Petra hätte alles dafür gegeben, einmal so auszusehen, wenn sie erwachsen war. Als kleines Mädchen, das sie damals gewesen war, hatte sie Amanda immer nur fasziniert angestarrt. Kit auf der anderen Seite hatte sich nie darum geschert. Sie hatte ungeachtet der zunehmend verzweifelten Blicke ihrer Mutter mit den Hacken gegen das weiße Leder des Sessels getrommelt, in dem sie sich lümmelte.
Petra hatte immer heimlich gehofft, dass Gervase da sein würde, zurück aus der Schule. »Warum geht ihr beiden Süßen nicht raus und spielt mit Gervase?«, pflegte Amanda zu sagen. »Er muss hier irgendwo sein.«
Wenn er da war – und sie ihn fanden –, gerieten er und Kit meist sogleich aneinander. Petra folgte ihnen, während sie durch die Felder streiften. Sie sehnte sich danach, dazuzugehören, nicht um mitzustreiten, sondern um mit ihm reden zu können, doch sie wusste nicht wie.
Seltsamerweise hielten die Crowns keine Hunde, und das, obwohl das Geld, welches all diesen Luxus ermöglichte, mit Hundepflegeprodukten erworben wurde. Es waren nicht nur die Hunde, die fehlten. Es gab keine Liebe in Key House. Petra hatte es nicht wirklich verstanden, doch sie hatte ihr Fehlen gespürt.
Sie hatte Sebastian ein paar Mal getroffen und ihn nicht besonders gemocht. Er hatte einen distanzierten Eindruck gemacht. Niemand war überrascht gewesen, als die Crowns sich getrennt hatten. Petra hatte sich lediglich darüber gewundert, dass nicht einmal Gervase eine Reaktion gezeigt hatte. Ihre Fragen, die sie ihm mit dem Kindern zu eigenen feinen Gespür gestellt hatte, hatte er stets mit einem schroffen »Frag mich nicht! Mir erzählt sowieso niemand jemals irgendwas!« beantwortet. Sie hatte seine Verletztheit gespürt und hätte ihn gerne getröstet, doch sie hatte auch geahnt, dass ihre Hilfe nicht willkommen sein würde.
Als Jugendliche hatte sie angefangen, sich in Gervase’ Nähe herumzutreiben, wann immer er zu Hause war und sich eine Gelegenheit ergab, in der Hoffnung, seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Ich habe schon immer für ihn geschwärmt , dachte sie nun reumütig. Als er mir an jenem Abend anbot, mich nach Hause zu fahren, wusste ich, dass er betrunken war, natürlich habe ich es gewusst. Ich wusste auch, dass er schon einmal einen Unfall verursacht und ein Auto zu Schrott gefahren hatte. Doch ich war so glücklich, dass er mir angeboten hatte,
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