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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gleiche wie er.
    Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe und ihr wurde klar, dass der Kloß in ihrem Hals keine Sorge mehr war, sondern Trauer. Sie wusste, dass er Recht hatte. Libatique und Cale mussten Godfrey aufgestöbert haben. Anschließend Elodie, wahrscheinlich auch Flavien.
    »Mich haben eine ganze Reihe Leute zusammen mit ihr gesehen«, sagte Parker nach einer Weile. Sie standen jetzt schon mehrere Minuten an der Rückseite der Tankstelle.
    »Die haben jemanden gesehen, der Ähnlichkeit mit Parker Cale hatte. Davon gab es in dem Hotel mindestens drei oder vier. Abgesehen davon glaubst du doch nicht im Ernst, dass beim Tod eines Sukkubus die Polizei gerufen wird, oder?«
    Er seufzte, rieb sich die Augen und legte beide Hände aufs Steuer. »Es reicht jetzt. Ich lasse nicht zu, dass er dir auch was antut. Die Sache in Levis Haus war knapp genug.«
    »Ich steig hier nicht aus, wenn du das meinst.«
    »Nein«, sagte er. »Das hab ich nicht gemeint.«
    »Was willst du tun? Zurück nach Le Mépris?«
    »Noch immer nach Monaco.«
    »Und dann?«
    »Welcher Tag ist heute? Mittwoch?«
    Sie schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. »Noch eine Dreiviertelstunde lang.«
    Parker nickte verbissen, dann startete er den Motor. Langsam fuhr er hinter dem Gebäude hervor ins Licht der Laternen und Werbeschilder, stoppte noch einmal und blickte hinüber zur Straße. Es war noch immer eine Menge Autos unterwegs, wahrscheinlich brach der Verkehr so kurz vor Monte Carlo niemals ganz ab.
    Ash beobachtete ihn, während er den Wagen zurück auf die Fahrbahn lenkte und rasch beschleunigte. Als sie in den nächsten Tunnel fuhren, flutete gelbes Licht das Innere des Wagens, aber sie hatte das Gefühl, ihn dennoch nicht deutlicher sehen zu können. Sie ahnte, wie sehr ihm das alles zu schaffen machte: die Sache mit seinem Vater; Godfreys Schicksal; das schlechte Gewissen, weil sie Libatique zu Elodie und Flavien geführt hatten.
    Kurze Zeit später wurde die Straße breiter und führte bergab. Zu beiden Seiten wuchsen die Häuser immer höher empor. Sie passierten ein Schild, das sie im Fürstentum Monaco willkommen hieß.
    Vor ihnen öffnete sich eine Bucht voller Hochhäuser, manche fünfzehn, zwanzig Stockwerke hoch. Es sah aus, als wären hier Stein und Beton aus dem ganzen Mittelmeer von einer Sturmflut übereinandergetürmt worden. Hinter den kantigen Kolossen erhoben sich die Umrisse kahler Bergrücken in den Sternenhimmel. Beleuchtete Stege ragten in die Bucht hinaus wie rechtwinklige Straßen. Daran lagen zahllose Jachten vor Anker, ein paar größere auch weiter draußen auf dem Meer.
    Links von ihnen befand sich ein Berg, dessen Hänge mit alten Stadthäusern und Villen überzogen waren. Auf seinem Gipfel standen in goldenem Flutlicht eine Kathedrale und ein Palast wie aus einem Spielzeugkatalog, gekrönt mit Zinnen und Zuckerbäckertürmen. Dort oben mussten die Grimaldis leben, das alte Fürstengeschlecht, das Monaco und die Schlagzeilen der europäischen Illustrierten regierte.
    Die Straße wurde vierspurig und tauchte immer häufiger durch breite Betontunnel unter den Häusern hindurch. Von Brücken aus konnten sie in erleuchtete Büros mit verlassenen Schreibtischen blicken. Reinigungspersonal schob Staubsauger durch leere Konferenzräume.
    Eine verwirrende Vielzahl von Abfahrten und Gabelungen führte in Tiefgaragen und noch mehr Tunnel. Ash hatte geglaubt, der Londoner Finanzdistrikt sei überwältigend in seinem arroganten Größenwahn, aber hier kam eine Enge dazu, die unwirklich und erdrückend wirkte. Es war, als hätten die Architekten einen Ameisenbau aus Stahlbeton und Neon errichtet.
    Dabei waren die Bürgersteige reinlich, die Fassaden blitzsauber. An keiner Wand entdeckte sie Graffiti, unter keinem Fußgängerüberweg lungerten Obdachlose herum. Vermutlich gab es auch in Monaco Prostituierte und Drogendealer, aber anders als in Tower Hamlets standen sie nicht an Straßenecken, sondern fuhren wohl in Ferraris und Stretchlimousinen vor.
    Noch einmal blickte sie auf die Uhr. Zwanzig Minuten vor Mitternacht.
    Sie fragte nicht nach, ging aber davon aus, dass die Cales in einem der nobleren Häuser eine Wohnung besaßen. Vielleicht ein Penthouse mit Blick über den Hafen. Parker redete noch immer kaum ein Wort und sie war nicht sicher, wie sie damit umgehen sollte. Tatsächlich kannte sie ihn einfach nicht gut genug. Ihre Annahme war – und da ging sie ganz von sich aus –, dass es das Beste wäre, ihn in

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