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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Antwort.

56.
    Wenig später, gegen dreiundzwanzig Uhr, verließen sie Cap Ferrat und jagten auf der Küstenstraße ostwärts. Auf diesem Stück führte die Fahrbahn durch gelb beleuchtete Felstunnel und über schwindelerregende Brücken.
    Ash berichtete ihm, was sie von Levi erfahren hatte. Als Parker ihr vom Ende seines Vaters erzählte, war sie nicht einmal schockiert. Der Bastard hatte bekommen, was er verdiente. Parker wirkte angeschlagen, aber keineswegs am Boden zerstört. Sie hätte ihn gern in den Arm genommen, aber bislang machte er keine Anstalten, den Wagen anzuhalten oder auch nur den Fuß vom Gas zu nehmen.
    Er fuhr viel zu schnell auf dieser kurvigen Strecke, doch Libatique war gewiss längst hinter ihnen. Wenn nicht mit dem Bentley, dann mit einem Wagen aus Levis Garage. Jedes Scheinwerferpaar im Rückspiegel war verdächtig, erst recht, wenn es ihnen zu nahe kam. Darum beschleunigte Parker noch mehr und seine Überholmanöver in den engen Kurven überstanden sie ein ums andere Mal nur um Haaresbreite.
    »Was ist mit deinen Verletzungen?«, fragte Ash. »Wenn die Polizei uns anhält und dich sieht –«
    »Das sind nur Kratzer.«
    »Es sind offene Wunden! Und so wie dein Vater aussah, kann er dich mit weiß Gott was infiziert haben. Wir müssen sie zumindest auswaschen. Außerdem brauchst du was Neues zum Anziehen.«
    »Erst mal müssen wir irgendwo untertauchen. Wir waren die ganze Zeit über eine viel zu leichte Zielscheibe, weil wir immer allein unterwegs waren. Besser, wir mischen uns unter Leute.«
    Zweifelnd blickte sie auf die Blutflecken auf seinem Shirt. »So?«
    »Wir sind gleich in Monaco. Da leben auf ein, zwei Quadratmeilen über dreißigtausend Menschen. Libatique dürfte ernsthafte Probleme haben, uns dort zu finden.«
    Sie schwieg eine Weile, dann sprach sie endlich aus, was ihr schon lange durch den Kopf ging. »Könnte es sein, dass dein Vater doch gewusst hat, wer Nineangel wirklich war? Und wo er all die Jahre gelebt hat?«
    Zum ersten Mal, seit sie die engen Sträßchen der Halbinsel verlassen hatten, nahm Parker den Fuß vom Gas. »Oh, shit!«
    »Denn wenn er es nicht wusste –«
    »– ist er uns Schritt für Schritt gefolgt«, brachte er ihren Satz zu Ende. Er hieb so heftig mit der Faust aufs Steuer, dass der Wagen für einen Moment ins Schlenkern geriet. »Dann war er bei Elodie und Flavien. Und die beiden konnte er nur finden, wenn er vorher …« Er ließ den Rest unausgesprochen, fuhr schweigend noch ein Stück weiter und bog dann auf den Parkplatz einer Tankstelle. Seine Hände zitterten, als er den Wagen hinter das Gebäude lenkte, damit er von der Straße aus nicht zu sehen war. Dort bremste er viel zu abrupt, schaltete in den Leerlauf und griff nach seinem Smartphone.
    Nachdem er gewählt hatte, starrte er mit leerem Blick auf die Felswand, die nur wenige Schritte neben ihnen emporwuchs. Er ließ es klingeln, bis der Anruf automatisch abgebrochen wurde, dann versuchte er es erneut.
    »Godfrey nimmt nicht ab«, flüsterte er schließlich.
    »Vielleicht schläft er.«
    »Er ist blind, nicht taub!«, fuhr er sie an, schüttelte über sich selbst den Kopf und sagte ruhiger: »Entschuldige.«
    »Versuch’s im Hotel.«
    Seine Finger bebten noch immer, als er versuchte, die Telefonnummer herauszufinden. Ash sah ihm eine Minute lang zu, dann streckte sie die Hand aus. »Gib mal her.«
    Er reichte ihr das Handy und ließ den Kopf gegen die Nackenstütze sinken. Sein Gesicht war in die andere Richtung gewandt, zu seinem Seitenfenster und dem dunklen Wall aus Fels.
    Wenig später meldete sich die Rezeption. Ash verlangte Zimmer 612. Der Nachtportier hatte sich gut im Griff, aber er zögerte dennoch einen Augenblick zu lang. »Entschuldigen Sie«, hakte er nach, »sagten Sie Zimmer 612?«
    »Ja.«
    »Sechs – eins – zwei?«
    »Genau.«
    »Darf ich Sie um Ihren Namen bitten?«
    »Lilly Libatique.«
    »Mademoiselle, wenn Sie wohl noch einen Moment in der Leitung bleiben könnten –«
    Ash drückte auf Beenden. »Scheiße.«
    »Was ist?«
    »Er hat sich zweimal nach dem Zimmer erkundigt und dann versucht mich hinzuhalten.«
    »Das Schwein hat sie alle umgebracht!«
    »Das wissen wir nicht.«
    Seine Augen waren tief und schattig. »Godfrey geht nie aus, schon gar nicht so spät am Abend. Und er trägt das Telefon im Haus immer bei sich. Nachts liegt es neben seinem Bett. Und was Zimmer 612 angeht …« Es war nicht nötig, dass er fortfuhr. Sie dachte ohnehin längst das

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