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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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her?«
    Sie lachte. »Du musst doch ständig irgendwo eingeladen sein, auf Promipartys und Empfängen und –«
    »Er bekommt all die guten Termine!«, mischte sich Lucien ein, der unbemerkt herbeigeschlendert war, eine Rotweinflasche und ein Glas in Händen. »Er fliegt zu den Premieren nach New York und Tokio und London. Wir Fußvolk in den Nebenrollen dürfen nach Warschau und Helsinki. Mitte der Woche muss ich runter nach Monaco, dafür brauch ich nicht mal meinen Reisepass.« Aber er sagte das lächelnd und in einem Tonfall, der verriet, dass sein Neid nur gespielt war. Tatsächlich wirkte Lucien wie jemand, der genau hier am glücklichsten war, in seinem Viertel in Lyon, wo er jeden Straßenmusiker persönlich kannte und zweifellos mit den meisten hübschen Mädchen geschlafen hatte.
    »Monaco«, sagte Parker. »Wird Epiphany dort sein?«
    »Soll ich sie grüßen?«
    »Auf keinen Fall.«
    »Hast du gehört, dass sie eine Hauptrolle im neuen Spider-Man hat?«
    »Schön für sie.«
    Lucien stieß erst mit ihm, dann mit Ash an und zeigte auf den leeren Platz neben ihr auf der Mauer. »Darf ich?«
    »Ist dein Hof«, sagte sie. »Jedenfalls tut jeder so.«
    Er setzte sich, trank sein Glas leer und schenkte allen nach. »Ich hab über euch nachgedacht.«
    »Oha«, sagte Parker.
    Ash saß zwischen ihnen und bemerkte, dass jeder ihrer Oberschenkel einen der beiden berührte. Allmählich gewöhnte sie sich daran, wie unwirklich das alles war. Erst gestern war sie noch in London gewesen, heute war sie schon mitten in Frankreich, flankiert von einem Engel und dem Jungen – wie hatte Parker es genannt? –, dem Jungen, »der eine Elfe vögelt«.
    Lucien blickte von seinem Weinglas auf. »Salvador Dalí hat mal gesagt –«
    Parker unterbrach ihn mit einem leisen Lachen. »Lucien malt auch. Wenn er nicht gerade wunderschöne Französinnen mit seiner Reimkunst verführt.«
    »Niemand sollte sich festlegen müssen«, entgegnete Lucien überraschend ernst. »Nicht in der Kunst und nicht in der Liebe.«
    Ash nickte, als verstünde sie etwas vom einen oder vom anderen. Tatsächlich stieg ihr der Wein allmählich zu Kopf, und das gab ihr das Gefühl, sich in alles und jeden hineinversetzen zu können. Mit Ausnahme von Parker.
    »Also«, begann Lucien von neuem, »Salvador Dalí, der große Surrealist … Er hat mal eine eigene Wissenschaft erfunden. Jedenfalls hat er behauptet, es wäre eine. Er hat sie Phoenixologie genannt. Kein Witz, ich schwör’s.«
    Parker stöhnte. »Und?«
    »In seinen Tagebüchern erwähnt er, wie er davon träumt, und der wunderbare Jean Cocteau hat auch davon erzählt …«
    Parker berührte Ash am Oberschenkel und verdrehte die Augen. Der Wein und sein Blick ließen sie kichern, was sonst nun gar nicht ihre Art war.
    »Laut Dalí«, fuhr Lucien fort, »muss sich jeder Künstler immer wieder neu erfinden und an seine Grenzen gehen. Er wird wiedergeboren aus der Asche seiner eigenen Kunst, um erst dann wieder etwas Neues, Aufregendes, Wundervolles erschaffen zu können.«
    Ash trank einen weiteren Schluck.
    »Asche und Phoenix«, sagte Lucien. »Das seid ihr beiden. Ihr gehört zusammen. Du, Ash, kannst diejenige sein, aus der Parker neugeboren wird. Du machst ihn zu einem anderen. Er hat sich jetzt schon verändert. Zum Besseren natürlich.«
    »Arsch«, sagte Parker gutmütig.
    »Du bist mein Freund«, entgegnete Lucien und stieß mit ihm an, »aber so wie heute hab ich dich selten erlebt. Mit der bezaubernden Ash an deiner Seite liebe ich dich gleich noch ein bisschen mehr.«
    »Sagte der schwule Engel.«
    Ash hob ihr Glas vor die Augen und blickte durch den Rotwein zum Feuer hinüber. Es war, als hielte sie einen großen Rubin in ihren Händen. Aus mir neugeboren, dachte sie. Und mochte es noch so großer Unsinn sein – was französische Künstler wohl so redeten, wenn sie zu viel tranken –, es berührte etwas in ihr. Sie sah ihr Gesicht im blutroten Glas gespiegelt, und sie erkannte sich kaum wieder.
    Lucien stand auf. »Phoenixologie«, sagte er noch einmal. »Vergesst das nicht.«
    Er reichte Parker die angebrochene Flasche, zog seine Zettel mit den handgeschriebenen Versen aus der Tasche und ging damit zum Feuer.
    »Er spinnt«, sagte Parker voller Zuneigung.
    Lucien schlug die Hacken zusammen, erhob das Glas zum Himmel und warf seine Gedichte feierlich in die Flammen.

18.
    Später befestigte Ash ein paar ihrer Fotos mit Klebeband an den Wänden des Hofes, Bilder aus dem

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