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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ist das Wohnzimmer?«, rief sie über die Schulter.
    »Zweite Tür rechts!«
    Sie betrat einen Raum mit hoher Stuckdecke, bordeauxrot gestrichenen Wänden, einer Flickencouch und mehreren Sesseln; keiner passte zum anderen. An den Wänden waren altmodische Videospielautomaten aufgereiht. Knallbunte Logos prangten über den Bildschirmen: Frogger , Galaga , Phoenix , Donkey Kong und Ms Pac-Man . Ash hatte mal ein paar Wochen in einem Pub gekellnert, dessen Besitzer einen ähnlichen Retro-Fimmel gehabt hatte. Diese Automaten hatten mindestens ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel. Neben einem der Spiele stand ein Plastikeimer mit Franc-Stücken. Sicher schluckten die antiquierten Mechanismen keine Euromünzen.
    »Auch französische Hochkultur?«, fragte sie, als Parker hinter ihr den Raum betrat.
    Ehe er antworten konnte, rief Lucien vom Flur aus: »Macht mal jemand die Balkontür auf? Und schnell ?« Dann stürmte er auch schon ins Zimmer, in den Händen einen Topf, aus dem schwarzer Qualm aufstieg. Der Gestank nach verbranntem Fleisch war widerlich.
    Ash, die am nächsten an den Fenstern stand, riss die Glastür auf. Hustend trug Lucien den Topf an ihr vorbei, stellte ihn draußen ab, eilte zurück in den Raum und warf die Tür zu. Ash fand seine französischen Flüche melodisch und charmant.
    »Schafsfüße!«, ereiferte er sich schließlich wieder auf Englisch. »Immer verbrennen mir die verdammten Schafsfüße!«
    Ashs Magen hörte sofort auf zu knurren. »Ihr esst Füße?«
    Luciens Grinsen entblößte einen leichten Spalt zwischen seinen Schneidezähnen. »Warte ab, bis du die Schweineschnauzen probiert hast. Lyoneser Spezialität!«
    Parker war an einen Automaten getreten und bewegte verspielt den Joystick, obwohl das Gerät nicht eingeschaltet war. »Du wirst dich daran gewöhnen«, sagte er zu Ash.
    Sie verzog das Gesicht. »Gibt’s hier Schokoriegel?«
    »Barbarin!«, rief Lucien.
    »Muffins? Red Bull?«
    »Nur Füße und Schnauzen«, sagte Parker und suchte den Knopf zum Einschalten des Automaten.
    Lucien riss erschrocken die Augen auf. »Ach, shit, die Schnauzen!«, und rannte hinüber in die Küche.

17.
    Kurz vor Mitternacht war die Stimmung im Hinterhof auf dem Höhepunkt und Lucien deklamierte sein drittes Gedicht. Breitbeinig stand er neben dem prasselnden Lagerfeuer und trug selbst verfasste Verse vor. In einer Hand hielt er einen zerknitterten Zettel, mit der anderen gestikulierte er; das schelmische Grinsen wich dabei gar nicht mehr von seinem Gesicht.
    Ash verstand kein Wort, mutmaßte aber, dass Luciens Poesie zu einem großen Teil aus Zoten bestand. Das Publikum – eine farbenfrohe Mischung aus Männern und Frauen in zerrissenen Jeans und gebatikten Röcken, farbbeklecksten Hemden und Kapuzenshirts – reagierte mit Ahs und Ohs, mit Gelächter und Hochrufen. Jeder gelungene Reim gab Anlass, eine weitere Flasche Wein zu öffnen.
    »Du strahlst jetzt schon den ganzen Abend«, sagte Parker zu ihr, nachdem Lucien seine Darbietung mit Verbeugungen und unter donnerndem Applaus beendet hatte. »Du bist selten so fröhlich, oder?«
    Sie fühlte sich durchschaut, aber zu ihrer eigenen Überraschung machte es ihr nichts aus. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zum letzten Mal so wohlgefühlt hatte. Sie und Parker waren von den Partygästen sofort akzeptiert worden. Einige mussten Parker erkannt haben, aber niemand sprach ihn auf seine Filme an oder begaffte ihn. Keiner ließ einen Zweifel daran, dass der eigentliche Star des Abends Lucien Daudet war. Er hatte die Feier organisiert, die Schweineschnauzen mit Mayonnaisesoße zubereitet und auf die Schnelle neue Schafsfüße bringen lassen. Außerdem gab es lokale Spezialitäten aus Knochenmark, Innereienwürste und namenlose Scheußlichkeiten, die bei lauten Gesprächen und Gesang verspeist wurden. Für Ash hatte Lucien einen kleinen Korb voller Schokoriegel besorgt, was sie wirklich überwältigend fand.
    Parker und sie saßen ein wenig abseits vom Feuer auf einer niedrigen Mauer am Rand des Hofs, dahinter lag eine Kellertreppe. In der Nähe befanden sich die Eingänge zu drei Gewölbegängen, schummrig beleuchteten Traboules, die tiefer in die umliegenden Altbauten führten.
    »Ich bin nicht oft bei so was eingeladen«, sagte sie und drehte ihr Weinglas zwischen den Fingern. »Eigentlich nie.«
    »Ich auch nicht.«
    Sie hob eine Augenbraue. »Parker Cale, der Partykönig von Saint-Tropez?«
    Er schnitt eine Grimasse. »Wo hast du denn das

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