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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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müssen das wieder rückgängig machen. Du musst es rückgängig machen.«
    »Muss ich das?«
    »Ich habe Angst, Parker.«
    Das verschlug ihm tatsächlich die Sprache. Falls dies Teil einer abstrusen Strategie war, dann stellte sein Vater wieder einmal seine berüchtigte Unberechenbarkeit unter Beweis.
    »Wovor sollte jemand wie du Angst haben?«
    »Libatique wird bald hier sein.«
    »Und was hat das mit mir zu tun?«
    »Alles.«
    »Hör schon auf, Dad. Du bist sauer, das ist in Ordnung. Es geht bei diesem Film um viel Geld und –«
    »Das Geld ist mir scheißegal«, fiel sein Vater ihm ins Wort, kalt und scharf, aber ohne die Stimme zu heben.
    Parker zuckte mit den Schultern. »Okay.«
    Er hatte den kleinen Hof durchquert und war auf den Zugang zu einer weiteren Traboule gestoßen. Es ging ein paar Stufen abwärts bis zu einem Tunnel, der unter dem Häuserblock hindurchführte. Trotz des schimmelnden Mauerwerks lag ein Hauch von Vanille in der Luft.
    »Ich habe dir nicht alles gesagt«, sagte sein Vater. »Ich hätte es tun sollen, schon vor langer Zeit, aber du hättest es nicht verstanden.«
    »Wow. Danke, Dad.«
    »So meine ich das nicht. Es geht dabei auch, nun … um deine Mutter.«
    Parker blieb am Ende der Stufen stehen. Vor ihm versank der unterirdische Korridor nach wenigen Metern in Finsternis. Nur weit entfernt schimmerte eine Ahnung von Helligkeit, womöglich war dort ein Aufgang zum nächsten Hof. An der Wand befand sich ein altmodischer Drehschalter für die Beleuchtung, aber Parker betätigte ihn nicht.
    »Um Mutter?«, wiederholte er leise.
    »Ich kann dir das alles erklären, aber erst musst du herkommen. Das ist nichts fürs Telefon.«
    Langsam drehte Parker sich am Fuß der Stufen um und sah zurück zu dem engen Säulenhof. Er hatte das Gefühl, sich setzen zu müssen, vielleicht auf die Treppe, blieb aber stehen.
    »Was hat Libatique mit ihr zu tun?« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    »Nicht am Telefon«, sagte sein Vater noch einmal. »Komm, so schnell du kannst, her. Ich warte auf dich. Dann erzähle ich dir alles und wir überlegen uns gemeinsam, wie wir weiter vorgehen.«
    »Verdammt, Dad! Sprich nicht in Scheißrätseln mit mir, sondern –«
    Im Tunnel scharrte etwas über Stein. Hinter ihm war jemand. Parker wirbelte herum.
    Nur eine Wand aus Dunkelheit. Der vage Schimmer in der Ferne war nicht mehr zu sehen.
    »Es ist wichtig, dass du auf dich aufpasst«, sagte Royden Cale. »Du bist in Gefahr. Chimena müsste bald bei dir sein, sie wird dich beschützen, aber bis dahin –«
    Parker ließ das Handy sinken und machte einen Schritt rückwärts, wobei seine Ferse gegen die unterste Stufe stieß. Der Vanillegeruch war intensiver geworden.
    Vor ihm tauchte ein Gesicht aus der Finsternis auf wie aus den Tiefen eines schwarzen Sees.
    »Parker?« Sein Vater klang jetzt sehr weit entfernt. »Parker, hörst du mir zu?«
    Der Fremde sagte laut: »Dein Sohn hört dich, Royden Cale!« Seine Stimme klang wie der Beginn eines Hustenanfalls, ein kratziges Röcheln. »Gleich wirst auch du ihn hören, Royden Cale! Hör genau zu, Royden Cale! Hör einfach nur zu.«

19.
    Die Unterhaltung in einer Sprache, die sie nicht verstand, machte Ash schläfrig. Sie musste nichts sagen und verließ sich ganz auf das Lächeln, das der Wein auf ihre Züge zauberte.
    Sie hatte an diesem Abend noch kein einziges Foto geschossen, und sie vermisste das. Ihr fiel ein, dass ihr Rucksack unbeaufsichtigt vor der niedrigen Mauer lag, auf der sie mit Parker und Lucien gesessen hatte. Sie löste sich aus der Gruppe und ging am Feuer vorbei zu ihren Sachen. Über den Innenhof verteilt saßen dreißig oder vierzig Partygäste, einige auf Holzkisten, andere auf Klappstühlen. Lucien unterhielt sich mit einer älteren Frau, die seine Mutter hätte sein können; sie trug wallende Gewänder. Ihr Schatten wurde von den Flammen verzerrt an eine Mauer geworfen und erhob sich wie ein schwarzer Berg über dem Hof und den Feiernden.
    Ash ging in die Hocke und öffnete den Verschluss des Rucksacks. Die Kameralinse blickte ihr aus dem Inneren entgegen. Sie wollte gerade danach greifen, als eine Hand ihre Schulter berührte.
    »Guten Abend«, sagte eine Frau auf Englisch.
    Ash sprang auf und drehte sich in derselben Bewegung um. Beinahe wäre sie gestolpert.
    Vor ihr stand die Frau aus der U-Bahn-Station. Groß, schlank und auf exotische Weise schön. Man hätte sich vorstellen können, ihr im Orientexpress zu begegnen.

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