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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Teppich aus vertrocknetem Laub bedeckte alle Böden, als sollte er etwas verbergen. Als sie mit der Fußspitze ein paar Blätter beiseiteschob, zerfielen sie zu Staub. Kahler Steinboden kam zum Vorschein.
    Sie widerstand dem Drang, die Räume im Erdgeschoss zu durchsuchen, weil sie so schnell wie möglich sehen wollte, ob die Polizei an der Villa vorfuhr. Während sie die Treppe hinaufstieg, nahm sie den Rucksack herunter und zog Parkers Feldstecher hervor.
    Auch in dem kleinen Flur im ersten Stock hatte sich Laub verteilt, das unter ihren Sohlen zerbröselte. Später, beim Hinausgehen, wollte sie Fotos machen. Aber der Blick aus dem Fenster war jetzt wichtiger.
    Im Obergeschoss gab es drei Räume. Zwei kleinere wiesen zur Vorderseite, auch hier gab es keine Türen mehr. Die Zimmerdecken waren mit eingetrockneten Wasserflecken bedeckt. Wie überall im Haus befand sich kein Glas in den Fenstern. Ranken waren hereingekrochen, hatten sich an Wänden und Decke verästelt und waren irgendwann abgestorben. Sie hafteten mit saugnapfartigen Auswüchsen am bröckelnden Verputz.
    Die Farbe des Fensterrahmens war an den meisten Stellen abgeblättert. Nirgends lagen Scherben. Irgendjemand hatte diese Zimmer vor langer Zeit ausgefegt.
    Wieder sah sie Albtraumbilder von Stofftieren vor sich, Affen und Bären und Tiger, mit räudigen Pelzen und aufgeplatzten Bäuchen, aus denen Watte hing wie Eingeweide. Manche blind, andere mit Augen, die an losen Fäden baumelten. Alle wankten mit Besen und Schaufeln durch die Ruine, kehrten Glas und Putz vom Boden. In jedem steckte eine der Ranken wie eine verdorrte Nabelschnur.
    Eine ganze Weile stand sie auf der Schwelle des hinteren Zimmers und zögerte.
    Als sie schließlich eintrat, stob ein Vogel zwischen den Zweigen an den Wänden auf, flatterte an ihr vorüber und flog durch das Fenster ins Freie. Er war das erste Lebewesen, dem sie im Mondhaus begegnete, und er schien auf der Flucht zu sein. Als wäre das, was ihn festgehalten hatte, durch Ashs Eintreten abgelenkt worden.
    Erst jetzt entdeckte sie die Überreste kleiner Gerippe, die am Boden zwischen Laub und losen Federn lagen. Widerstrebend durchquerte sie den Raum, duckte sich unter hängenden Rankenschlingen und umrundete einen Strang, der wie ein exotischer Baum mitten im Zimmer stand. Alles roch nach Vogelkot.
    Am Fenster holte sie tief Luft und blickte hinaus. Sie musste sich jetzt genau zwischen den beiden Sicheln befinden. Vor ihr, teilweise von tiefer gelegenen Baumkronen verdeckt, erstreckte sich das Tal. Zwischen den Wipfeln erkannte sie die Villa. Nun war auch wieder das Hundegebell zu hören.
    Sie richtete den Feldstecher auf das Anwesen. Die leere Dachterrasse überragte alle anderen Teile des Gebäudes und wirkte wie der Wachturm eines Gefangenenlagers. Nach kurzer Suche fand sie zwischen den Bäumen ein Stück des Weges, der vom Vorplatz der Villa zum Zaun führte. Wäre sie nur ein wenig größer gewesen, hätte sie über die Baumkronen hinweg auch das Tor sehen können.
    Es gab keine Fensterbank, nur das Mauerwerk und den Rahmen voller Glassplitter. Ash kletterte nach oben, bis sie mit beiden Füßen auf der Kante stand. Auf Grund der Scherben konnte sie sich nicht hinknien, deshalb hockte sie selbst wie ein Vogel auf dem schmalen Sims und musste sich zwingen, nicht an der Fassade nach unten zu blicken.
    Mit einer Hand hielt sie sich an der Mauer fest und hob mit der anderen das Fernglas. Sie schwankte etwas und spürte, wie sich ihre Füße verkrampften. Dass sie nicht sehen konnte, ob hinter ihr jemand das Zimmer betrat, machte die Sache nicht besser.
    In der Nähe des Tors stieg noch immer eine dünne Rauchsäule empor. Die Flügel standen offen. Drei Wachleute in schwarzen Overalls diskutierten mit den aufgebrachten Paparazzi.
    Bewegte sich etwas in ihrem Rücken? Sie ließ das Fernglas sinken und musste sich zusammenreißen, um nicht herumzuwirbeln und dabei womöglich das Gleichgewicht zu verlieren. Stattdessen schob sie langsam das Kinn über die Schulter, stützte sich fester an der Wand ab und wappnete sich für den Anblick eines Menschen, der unmittelbar hinter ihr stand.
    Nichts als das leere Zimmer. Auch draußen auf dem Flur war niemand zu sehen. Noch angespannter als zuvor wandte sie sich wieder dem Tal zu.
    Einer der Securityleute hatte sich aus der Gruppe gelöst und ging zurück zum Haus. Er schien zu telefonieren, wahrscheinlich mit seinem Boss in der Villa. Ash hatte für einen Moment gehofft,

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