Asche und Phönix
Libatiques.
Es ist zum Verzweifeln. Was er auch versucht, alles wird immer nur er selbst. Er braucht noch mehr Talente und noch mehr Zeit, und während ihm die Fähigkeiten des Jungen gleichgültig sind, so weiß er doch, dass dessen weltweiter Ruhm ihn über Jahre sättigen wird. Solange Parkers Berühmtheit andauert, könnte Libatique allein von ihm leben, so stark ist die Liebe des Publikums zu diesem dummen Schauspieler.
Libatique hält nicht viel von diesem Pakt, den er dem Jungen aufzwingen muss, aber ohne ihn wird er womöglich nie sein Ziel erreichen. Er ist müde von den vielen Jahrhunderten des Strebens nach Höherem. Ein wenig ausgebrannt, denkt er manchmal. Es ist nicht schön, sich das eingestehen zu müssen, aber er kann nicht umhin, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Es ist eine Sucht, dieser Drang nach Perfektion, aber er hat es längst aufgegeben, dagegen anzukämpfen.
Der Blinde liegt auf dem Esstisch, Arme und Beine gespreizt und gefesselt, und Royden bearbeitet ihn. Libatique geht im Wohnzimmer auf und ab und beobachtet das Treiben mit Missfallen, weil er kein Freund ist von derart grobem Tun. Er hält es für unästhetisch. Und Royden übertreibt, er hat Spaß gefunden an dieser Form der Machtausübung. Er hatte schon immer ein Faible dafür, andere Menschen zu unterdrücken, und seit er selbst kein Mensch mehr ist, kennt er keine Grenzen.
Schon einige Male hat Libatique seit gestern Abend gedacht, dass es falsch war, Royden auferstehen zu lassen. Guignol war gehorsam und zielgerichtet. Royden hingegen ist unberechenbar und wütet wie ein Wahnsinniger. Libatique wird ihn nicht so lange an seiner Seite behalten können wie Guignol.
Doch im Augenblick ist er auf seinen Sklaven angewiesen, wenn er sich nicht selbst die Finger schmutzig machen will. Er versteht allmählich, weshalb dieser Mann sich von der Kunst verabschiedet hat und zum Wirtschaftsboss wurde, zum Medienzar, zum Herrscher eines weltweiten Reichs. Auch dort konnte er Gewalt ausüben, mit einem Anruf Tausende entlassen, konnte Gegner in den Ruin treiben und Regierungen ins Wanken bringen. All das hat er genossen und dafür seine Malerei aufgegeben. Jetzt aber, da Tod und Auferstehung sein Dasein auf animalische Triebe reduzieren, ist die Gewalt, die er mag, primitiverer Natur. Er ist derb und unbedacht, dabei jedoch sehr gründlich. Noch braucht Libatique ihn, aber das wird nicht ewig so sein. Wenn der Sohn erst ihm gehört, wird er auf den Vater verzichten können.
Immerhin eines hat Royden gut gemacht: Er hat sich an dieses Haus erinnert, das der Junge heimlich gekauft hat. Denn Royden Cale hat seine Ohren und Fühler überall. Er hat Parker in dem Glauben gelassen, nie von Le Mépris gehört zu haben, und das kommt ihnen nun zugute.
Es hat eine Weile gedauert, ehe Roydens Rückkehr von den Toten weit genug fortgeschritten war, dass er sich deutlich artikulieren konnte. In den ersten Stunden vermochte er nur einfache Aufgaben zu verrichten, auch das Autofahren fiel ihm schwer. Fast hätte er in einer Kurve die Kontrolle über den Rolls-Royce verloren, und Libatique hatte eingesehen, dass er sich noch eine Weile gedulden musste.
Während der Stunden bis zum Sonnenaufgang, auf dem menschenleeren Parkplatz eines Supermarkts, hat er die Zeit genutzt, um Roydens Gesicht neu zu formen. Danach waren Teile der Erinnerung seines Dieners zurückgekehrt, bald auch jene an Le Mépris. Seine Sprache war noch unvollkommen – sie ist es jetzt noch –, aber sein Wortschatz reichte aus, um Libatique seinen Verdacht mitzuteilen.
Und tatsächlich, Parker und das Mädchen sind hier gewesen. Nun gilt es herauszufinden, wohin sie am Morgen aufgebrochen sind. Noch schweigt der Blinde auf dem Esstisch, und wenn Royden so weitermacht, wird es schwierig werden, mehr aus ihm herauszubekommen.
Libatique verlässt die beiden Männer und schaut sich im Haus um. In seinem teuren schwarzen Anzug streift er barfuß durchs Untergeschoss. Auf einem Sessel liegt eine altmodische Polaroidkamera, daneben ein Blatt Papier mit Blindenschrift. Der Laptop und ein Spezialdrucker, mit dem das Schreiben erstellt wurde, befinden sich auf einem Schreibtisch am Fenster.
Libatique, der alle Sprachen der Welt versteht, fährt mit der Fingerspitze über die Erhebungen.
Lieber Godfrey,
vielleicht wird es wirklich Zeit, sich nicht länger zu verstecken. Ich möchte mich bedanken für das, was Sie gesagt haben. Es ist lange her, dass jemand mir uneigennützig einen Rat
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