Asche und Phönix
»Vielleicht finden wir es einfach nicht besonders attraktiv, uns vorzustellen, dass wir irgendwann sterbenslangweilig und lethargisch sein könnten.«
In seinen Augen blitzte es triumphierend. »Was also kümmert es dich, für stundenlangen fantastischen Sex auf ein paar Jahre deines grauen, elenden Daseins als alte Frau zu verzichten?«
»Das heißt, ich altere nicht sofort um die Jahre, die ihr mir wegnehmt?«
»Aber nein. Nur wenn es zur Sucht wird, dann sieht man es dir irgendwann an.« Er deutete zu der ausgezehrten Frau neben dem Parker-Doppelgänger. »Ganz sicher nicht, wenn man es richtig dosiert.«
»Aber wenn ich nicht älter als dreißig werde?«
»Dann würdest du nach einer Nacht mit mir mit siebenundzwanzig sterben.«
Kopfschüttelnd winkte sie ab. »Das ergibt keinen Sinn. Das würde voraussetzen, dass unser Sterbedatum irgendwo festgeschrieben ist und jemand am Ende ein paar Jahre wegstreicht.«
»Möglicherweise ist es so.«
»Und wenn ich unerwartet bei einem Unfall ums Leben komme?«
Flavien verzog den Mund. »Derjenige, der die Jahre abstreicht, weiß das vielleicht schon heute.«
Nun wünschte sie sich selbst einen Cocktail, den stärksten auf der Karte. »Was, wenn mir vorherbestimmt wäre, dass ich morgen umgebracht werde?« Von Libatique zum Beispiel. »Wenn das unausweichlich feststünde und ich trotzdem mit dir schlafe. Dann bliebe mir noch ein Tag, und ich hätte gar keine drei Jahre mehr, die du mir wegnehmen könntest.«
»Wäre doch möglich, dass ich das spüren könnte, oder?«
»Dann würdest du sicher nicht versuchen, mich abzuschleppen.«
Sein Grinsen wurde breiter. »Bist du denn sicher, dass ich das gerade versuche?« Flavien rückte den Stuhl zurück und stand auf. »Hat mich gefreut, mit dir zu reden, Ash. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag.«
Damit nickte er ihr zu und ging davon.
Sie schaute ihm einen Moment lang hinterher. Ihre Bauchschmerzen waren auf einen Schlag verschwunden, aber es kam ihr vor, als wären die Ränder ihres Blickfeldes unschärfer geworden.
Flavien hatte die Terrasse schon halb in Richtung Hotel überquert, als sie aufsprang und ihm folgte.
»Hey!«
Er ging weiter und betrat das Hotel. Ein Kellner kam Ash entgegen. Die Cocktailgläser auf seinem Tablett schwankten, als sie sich an ihm vorbeidrängte. Eines kippte über den Rand und zerschellte am Boden. Kurz verstummten die Gespräche auf der Terrasse und alle Blicke richteten sich auf sie.
»’tschuldigung. Wirklich, tut mir leid.«
Als sie sich wieder dem Gebäude zuwandte, war Flavien nicht mehr zu sehen. Sie ignorierte den Einwand des Kellners und ging zügig zwischen den besetzten Tischen hindurch zum Hintereingang. Auf einer Ablage für die Bedienung standen Zuckertöpfchen, Serviettenstapel und Salzstreuer. Sie schnappte sich einen im Vorbeigehen und schraubte den Deckel ab, während sie das Gebäude betrat. Parker hatte ihr davon erzählt und sie musste sich darauf verlassen, dass es funktionierte.
Ein älterer Mann im Bademantel bog mit einem rothaarigen Mädchen im Arm aus der Hotelbar in Richtung der Aufzüge. Die beiden versperrten ihr die Sicht auf das andere Ende des Korridors. Im Vorbeigehen warf sie einen kurzen Blick in die Bar, konnte Flavien aber nicht entdecken. Sie murmelte etwas, das halb Fluch, halb Entschuldigung war, schob sich an dem ungleichen Paar vorbei und näherte sich den Lifttüren. Die eine schloss sich gerade.
Im letzten Moment schob sie ihren Fuß in den Spalt. Die beiden Hälften der Schiebetür ruckelten störrisch, dann glitten sie wieder auseinander. Flavien stand allein in der Kabine und sah sie mit erwartungsvollem Lächeln an.
»Neugierig geworden?«
Ash betrat die Kabine, eine Hand in der Tasche um den Salzstreuer geschlossen. »Ziemlich.«
Flavien drückte auf den Knopf für die sechste Etage. Hinter ihnen wollte sich auch der alte Mann mit seiner Begleiterin in den Aufzug drängen, aber Flavien warf dem Sukkubus einen warnenden Blick zu, woraufhin die Rothaarige den Mann mit einem aufgesetzten Kichern zurück auf den Gang zog. Der Alte protestierte, aber sie hatte sich so fest bei ihm eingehakt, dass er gar keine andere Wahl hatte, als mit ihr auf die nächste Kabine zu warten.
Die Lifttür glitt zu. Ash war allein mit Flavien. Sie hielt sich so weit wie möglich von ihm fern, stand mit dem Rücken an der Kabinenwand.
Der Inkubus lächelte geringschätzig. »Bei ihm kann ich verstehen, dass er’s eilig hat.«
»Wie viele
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