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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gegeben hat, und früher habe ich aus Prinzip meist das Gegenteil getan. Parker hat Recht mit allem, was er über Sie sagt: Sie sind ein ganz besonderer Mensch. Und beim nächsten Mal esse ich auch Ihren Fisch.
    Alles Liebe,
    Ash
    Verwundert liest Libatique den Brief ein zweites Mal. Er wird diese menschlichen Sentimentalitäten niemals verstehen.
    Der Laptop hat eine spezielle Tastatur und ist Godfreys Kontakt zur Außenwelt. Libatique ist alt, aber kein Fossil, und er versteht etwas von Technik. Innerhalb weniger Minuten findet er im Verlauf des Browsers die Website eines Hotels, ein wenig weiter die Küste hinauf.
    Er kennt diesen Ort. Er weiß, von welchen Wesen es dort wimmelt. Und während er noch überlegt, was Parker dorthin führen könnte, fällt im Erdgeschoss der Name Nineangel.
    Er hätte es ahnen müssen.
    Parker sucht Beistand, wo einst schon Royden welchen fand. Beim Hohepriester Nineangel. Bei seiner Göttin Hekate.
    In einem Anfall von Wut schleudert Libatique den Computer durch die Fensterscheibe auf die Terrasse. Splitter schießen ins Freie, Scherben stürzen wie Fallbeile. Der Laptop zerspringt auf den Fliesen und schlittert bis zur Bucht.
    Nineangel. Libatique hat noch eine Rechnung mit ihm offen. Wüsste er, wo er sich verkrochen hat, hätte er ihm längst einen Besuch abgestattet. Er hat ihm nie verziehen, dass er ihm Royden so lange vorenthalten hat. Eine Strafe ist längst überfällig. Eine Strafe wäre ihm eine große Genugtuung.
    Libatique eilt die Stufen hinauf und wendet sich seinem Gefangenen zu. Eine rote Blüte hat sich auf dem Tisch geöffnet. Royden steht daneben, bereit für neue Anweisungen.
    »Warum dort?«, fragt Libatique, ohne sich dem Tisch zu nähern. »Warum in diesem Hotel?«
    Der Blinde wendet ihm langsam den Kopf zu, als könne er ihn sehen. Und vielleicht vermag er das tatsächlich, denn Libatique ist in der Finsternis zu Hause.
    Godfrey öffnet den Mund. Nicht viele Teile seines Leibes sind noch so beweglich.
    Libatique bebt vor Ungeduld. »Wer ist dort, der Parker zu Nineangel führen soll? Oder hat er selbst sich dort verkrochen?«
    Bei der Erwähnung des Jungen steigt ein Grollen aus Royden Cales trockener Kehle. Er gibt Parker die Schuld an dem, was ihm angetan wurde. Für seinen Tod und für sein Leben danach. Für das, was er fortan sein muss. Er hasst seinen Sohn mit einer Unerbittlichkeit, wie sie nur Toten zu eigen ist.
    Die Gesichtszüge des Blinden zucken. Er will reden, er will es so sehr.
    Aber, nein – er lacht. Er lacht seine Peiniger aus!
    In der Schwärze tritt Libatique an seine Seite.

49.
    Als sie wieder zu sich kam, waren nur Sekunden vergangen. Die Aufzugtür hatte sich geschlossen, die Kabine war auf dem Weg nach unten.
    Ash lag am Boden vor der Rückwand, ihr Hals schmerzte, wo Flavien sie gepackt hatte, aber es gelang ihr, sich wieder aufzurappeln. Ihr Blick huschte zur Etagenanzeige. Vierter Stock. Hastig drückte sie auf die Drei. Augenblicke später hielt die Kabine und die Tür glitt auf. Ash taumelte hinaus auf den Flur, suchte nach dem Zugang zum Treppenhaus. Sie hatte keine Zeit, erst wieder ganz nach unten zu fahren, um dann mit dem Aufzug in die sechste Etage zurückzukehren. Sie musste schneller sein. So schnell wie Flavien auf dem Weg zu Parker.
    Durch eine Glastür, dann die Stufen hinauf. Wieder der vierte Stock. Der fünfte. Schließlich der sechste. Atemlos stürmte sie hinaus auf den Flur. Niemand zu sehen. Sie wusste nicht, in welches Zimmer Parker mit Elodie gegangen war, aber sie erinnerte sich, dass Flavien vom Lift aus nach rechts gerannt war.
    Sie lief in dieselbe Richtung, den rot tapezierten Gang hinunter, vorbei an Türen mit Knäufen und Zahlen aus Goldimitat. Es roch nach Parfüms und Reinigungsmitteln, aus Lautsprechern erklang klassische Musik. Ashs Fähigkeit, in Sekunden alle Details der Umgebung wahrzunehmen, meldete sich zurück. Sie sah Licht unter manchen Türen, unter anderen war es dunkel. Sie horchte auf Stimmen, hörte Flüstern und Seufzen und eingeschaltete Fernseher.
    Und dann war da Flaviens Aufschrei, nicht panisch, nicht einmal laut. Er verriet keine Angst, keinen Schmerz. Nur Zorn.
    Sie bog um eine Ecke. Die dritte Tür rechts war geöffnet. Auf dem Gang stand der Wagen eines Zimmermädchens, vollgepackt mit Handtüchern, Bettwäsche und Flaschen für die Minibar. Möglich, dass nur deshalb die Tür offen stand.
    Einige Meter vor dem Zimmer wurde sie langsamer. Sie trug nichts bei sich, mit dem

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