Asche und Schwert

«
    Â»Hörst du nicht, wie er spricht?«, sagte Ilithyia. »Alle hängen an seinen Worten. Seine Reden bringen einen auf neue Gedanken und berichten von den Ideen gebildeter Menschen aus der ganzen Welt. Es ist ein Auftritt, wie man ihn außerhalb des Senats selten erlebt.«
    Â»Sei still und lass ihn reden«, stimmte Lucretia ihr zu. »Sieh sie dir an! Sie hören von fernen Ländern und verrückten Ideen. Die Gäste sorgen selbst für ihre Unterhaltung, und später werden sie erklären, dass sie sich köstlich amüsiert haben.«
    Â»Timarchides hat keine Kosten gescheut, um die Tänzerinnen zu engagieren«, widersprach Batiatus. »Wenn also Cicero nicht vorhat, sich auszuziehen …«
    Â»Wenn alle schon längst nach Hause gegangen sind, werden sie noch immer darüber sprechen, wie wunderbar der Abend war.«
    Batiatus schüttelte verblüfft den Kopf. »Lucretia, deine Worte machen aus einem unerträglichen Langeweiler einen unerwarteten Segen.«
    Â»Geh in die Küche und sprich mit den Sklaven«, sagte Lucretia. »Timarchides ist nirgendwo in Sicht, und die Erfrischungen werden langsam knapp.«
    Aber Batiatus trat näher an die beiden Römer in der Mitte des Raumes heran. Die Art, wie sie sich unterhielten, hatte von Neuem sein Interesse geweckt. Er sah das faszinierte Funkeln in den Augen der Zuschauer und bemerkte das respektvolle Schweigen, mit dem sie den beiden zuhörten. Plötzlich wurde ihm klar, wo er so etwas schon einmal erlebt hatte.
    Er wandte sich zu seiner Frau um.
    Â»Meine Ohren sind erwacht«, flüsterte er Lucretia zu. »Sie kämpfen wie Gladiatoren, aber sie kämpfen mit Wörtern und Ideen.«
    Â»Genau das tun sie«, seufzte Lucretia. »Dann werde ich mich also um die Erfrischungen kümmern müssen, ja?«
    Â»Scheiß auf die Erfrischungen. Ich möchte Ideen in mich aufnehmen, Lucretia, Ideen.«
    Ilithyia lachte und hob ihre Hand zum Abschied, während Lucretia ratlos den Kopf schüttelte.
    Â»Sizilien ist ein besonderer Fall«, sagte Verres gerade.
    Â»Jede Provinz kann ihre Besonderheiten und Eigentümlichkeiten für sich in Anspruch nehmen«, erwiderte Cicero. »Ich spreche von einem viel umfassenderen Thema, nämlich von der Sklaverei schlechthin und von der Zukunft, die sie hat.«
    Â»Sklaverei ist eine nicht zu ändernde Tatsache.«
    Â»Eine Tatsache, die Löcher in die Erinnerung an unsere Geschichte gegraben hat. In Rom erinnert kein Denkmal an den Sklavenaufstand in Sizilien. Es gibt keine großen Thea terstücke oder Gedichte, die an den Aufstand oder an die Umstände erinnern, die zu seinem Ende führten. Wir ziehen es vor, uns nicht mit den Massakern an Unschuldigen zu beschäftigen, den Vergewaltigungen und der Ermordung guter römischer Bürger, welche nicht nur von Sklaven, sondern auch von der einfachen Landbevölkerung begangen wurden. Denn diese Menschen hatten sich den Sklaven angeschlossen, anstatt sich auf die Seite der reicheren freien Bürger zu schlagen.«
    Â»Das ist wohl kaum ein Thema, das einem Drama angemessen wäre«, sagte Verres lachend, wobei er von mehreren Zurufen aus der Menge unterstützt wurde.
    Â»Warum nicht? Es ist die vollkommenste und schrecklichste Tragödie.«
    Â»Wir lernen etwas aus Tragödien«, sagte Verres. »Wir müssen die Erinnerung an diesen Aufstand aus der Erinnerung tilgen, und zwar nicht aus ästhetischen Gründen, sondern um sicherzustellen, dass solche Ideen keine Verbreitung finden.«
    Â»Glaubt Ihr, dass die Sklaven, die sich in Sizilien erhoben, ein Drama brauchten, um ihre Wut zu nähren? Glaubt Ihr, dass sie Bücher über vergleichbare frühere Ereignisse gelesen haben? Natürlich nicht! Sie revoltierten, weil sie nichts mehr zu verlieren hatten.«
    Â»Und das, bester Cicero, ist genau der Grund, warum ich sage, dass ich als Statthalter von Sizilien stets wachsam sein muss, um mit fester Hand jede Andeutung weiterer Aufstände im Keim zu ersticken.«
    Â»Und das, bester Verres, ist genau der Grund, warum ich sage, dass Sizilien überhaupt keinen Sonderfall darstellt. Der sizilianische Aufstand hätte sich überall in der Republik ereignen können. Jederzeit! Und er könnte sich auch wiederholen.«
    Â»Wo sind Eure Beweise?«
    Â»Sobald ich einen Beweis hätte, wäre es zu spät! Roms Macht beruht