Asche und Schwert
Welt ohne Sklaven. Das ist eine so lächerliche Vorstellung, wie es eine Welt ohne Bäume wäre. Wohin sollten sie denn alle gehen?«
»Warum sollten sie denn überhaupt irgendwohin gehen? «, fragte Cicero. Er hatte die Hände erhoben und warb um die Zustimmung der Menge. »Warum sollten sie nicht einfach hier weiterleben?«
»Eben deshalb, weil eine groÃe Anzahl von ihnen bereits tot sein sollte!«, rief Verres, als genüge eine entsprechende Laut stärke, um das Streitgespräch zu entscheiden. »Auf den Schlachtfeldern von Numidien und Hispanien! In Karthago! Als Ergebnis zahlloser vereitelter Verbrechen! Als ertappte Diebe! Als festgenommene Mörder!« Die Menge jubelte bei jeder Erwähnung eines römischen Sieges und jeder Gelegenheit, bei der im Namen der Republik Gerechtigkeit geübt wurde.
»Sklaverei ist die niederste Art zu leben, auf die ein Mensch herabsinken kann«, fuhr Verres fort. »Es ist, als würde der Augenblick, der dem Tod unmittelbar vorangeht, auf die Länge eines ganzen Lebens ausgedehnt. Und doch ist Sklaverei besser als der Tod. Wenn Ihr die Sklaven dieses Hauses hättet fragen können, was hätten sie Euch wohl geantwortet? Hätten sie den Tod auf dem Schlachtfeld in Thrakien oder Afrika der Nahrung, dem Schutz und einer Aufgabe hier im Herzen der Republik vorgezogen?«
»Ah, aber es ist nicht ihre Republik. Diese Sklaven waren nicht aus eigenem Willen hier. So wenig wie die anderen, die heute in unserer Republik leben.«
»Das hätten sie sich vorher überlegen müssen, bevor sie beschlossen, uns anzugreifen, uns zu bestehlen oder â«
»Oder bevor sie das Unglück hatten, an unseren Grenzen zu leben?«
»Ihr würdet sie alle freilassen?«
»Nicht jeder ist geeignet, Römer zu sein. Aber sogar wenn man sich in diesen Mauern nur kurz umsieht, wird man die Gesichter von Männern und Frauen finden, die vor noch nicht allzu langer Zeit Römer geworden sind. Erst wenige Jahre sind vergangen, seit es dem Rest Italiens erlaubt wurde, sich in die schützenden Arme Roms zu begeben. Es könnte doch sein, dass wir in einigen Generationen dieses Recht auch den Menschen aus Hispanien oder Griechenland gewähren.«
»Glaubt Ihr wirklich, dass diese Möglichkeit besteht?«
»Aber gewiss! Wenn wir nach und nach die Italiener in den ruhmreichen Rang von Römern erheben, können auch Sklaven zu Freien werden. Nehmen wir zum Beispiel Tiro, meinen persönlichen Diener.«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist ein Sklave, ein lebenslanger treuer Diener der Familie Cicero, der er fast schon angehört.«
»Würdet Ihr ihm erlauben, Eure Tochter zu heiraten?«
Cicero ignorierte die lächerliche Frage.
»Er hat mir nicht nur am Morgen meine Kleider gereicht oder die Schale gehalten, während ich mich gewaschen habe. Er hat auch meine Bücher zur Schule getragen und hat im Unterricht neben mir gesessen. In seiner Position als Sklave wurde ihm die beste Ausbildung zuteil, die für Geld zu bekommen ist. Er hat gelernt, Latein und Griechisch zu lesen, und das nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch, damit er mir als lebendiges Lehrbuch dienen konnte, wenn ich meine Ãbungen machen musste. Die Familie Cicero hat tausende Silbermünzen in Tiro investiert. Denkt an die Arbeitsstunden, die wir verloren haben, als seine Mutter schwanger war und sie sich danach eine Zeit lang nur um ihn kümmern konnte. Denkt an das Essen und die Kleider, die er von uns erhielt, während er zum Mann heranwuchs. Die Familie Cicero hat weitaus mehr Geld für ihren Sklaven aufgewendet, als so mancher Kaufmann aus Capua für seine leiblichen Kinder aufbringt, und das ist Tiro sehr gut bekommen.«
»Aber ist er frei?«
»Nein, er ist nicht frei, obwohl sein Leben von gröÃeren Freiheiten geprägt ist als das eines Fischers, der in der Morgendämmerung seine Netze auswirft, oder als das eines Sänftenträgers, der sich am Ende des Tages damit abmüht, die letzte Meile mit seiner schweren Last auf den Schultern hinter sich zu bringen. Darüber hinaus kann es durchaus sein, dass die Familie Cicero irgendwann in Zukunft beschlieÃt, Tiro endgültig in die Freiheit zu entlassen. Doch das wird verantwortungsvoll geschehen.«
»Wie kann man einem Sklaven verantwortungsvoll die Freiheit geben?«, fragte Verres in höhnischem
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