Aschebraut (German Edition)
allen deinen Hirnzellen zu uns zurück, du dämlicher Idiot. Bitte …
»Beten Sie?«, fragte Annette.
Und erst in diesem Augenblick bemerkte Brenna, dass sie diese Worte vor sich hin gemurmelt hatte. Sicher dachten alle anderen, sie hätte den Verstand verloren. Weshalb sonst starrten sie sie wohl derart an?
Sie hat die Gabe der Zerstörung im Blut …
Sie stand auf und atmete tief durch. »Ich muss mir ein bisschen die Beine vertreten«, sagte sie, als würde das in diesem Zimmer auch nur einen Menschen interessieren, ging an dem Mädchen mit dem Säugling auf dem Arm vorbei und nickte beiden zu. Sie sahen verwirrt und traurig aus. Wer konnte schon sagen, was die beiden gerade dachten? Wer konnte schon sagen, was den Menschen durch den Kopf ging, die im Wartezimmer einer Ambulanz versammelt waren? Sie zog ihr Handy aus der Tasche und tippte verstohlen eine SMS an Maya: Alles gut, aber es wird noch eine Weile dauern. Bin bei Trent im Krankenhaus. Sie starrte auf den Text auf dem Display und konnte Mayas Antwort praktisch hören. Du kannst mir nicht einfach schreiben, du wärst bei Trent im Krankenhaus, ohne zu erwarten, dass ich wissen will, warum … Also, warum bist du mit Trent im Krankenhaus?
Aber was hätte Brenna sagen können? Wie in aller Welt sollte sie diese Sache ihrem Kind erklären? Also tippte sie knapp: Fischvergiftung, und schickte die Nachricht ab. Mehr konnte sie im Augenblick nicht tun.
Das Einzige, woran sie denken konnte, waren Trents von dem Autounfall immer noch zerschundenes Gesicht, Diandras überall auf seiner Brust verschmierter Lippenstift und seine arglosen, weit aufgerissenen Augen, die die Augen eines sechsjährigen Kindes gewesen waren … Ist es etwas Schlimmes? Ich habe das Gefühl, dass du mir etwas Schlimmes sagen willst.
Sie passierte eine Reihe leerer Stühle, eine abgenutzte Bank und einen großen, breiten Tisch voller alter Zeitschriften und einer Handvoll Bücher, darunter einer Bibel. Dabei fiel ihr wieder die Notiz auf RJ Tannenbaums Schwarzweißfoto von Spielberg ein, und sie nahm die Bibel in die Hand.
DEUT 31:6
Brenna blätterte die Bibel durch, bis sie zum Deuteronomium, dem fünften Buch Mose, kam, und schlug dort Robin Tannenbaums Passage nach.
Seid getrost und unverzagt, fürchtet euch nicht und lasst euch nicht vor ihnen grauen …
»Amen«, wisperte sie. »Fürchtet euch nicht.«
N
Brenna hockte auf dem Lenker eines riesengroßen Rads. Sie versuchte, wieder auf den Sitz zu kommen und mit ihren Füßen die Pedale zu erreichen, um das grässlich schnelle Ding unter Kontrolle zu bekommen. Doch das Rad war viel zu groß und fuhr entsetzlich schnell, und aus irgendeinem Grund wusste sie in der Tiefe ihres Herzens, dass sie sterben würde, wenn sie nicht vollkommen reglos sitzen blieb.
Ein Hügel ragte vor ihr auf, so steil, dass er fast senkrecht abzufallen schien. Sie wollte schreien, bekam den Mund aber nicht auf, und das Fahrrad raste unaufhaltsam auf den Hügel zu, holperte über den steinigen Beton und gewann noch zusätzlich an Fahrt.
»Halt dich fest!«, befahl eine Stimme hinter ihr. Eine sanfte Stimme. Die von Clea?
Brenna spürte starke, schlanke Arme links und rechts von ihr. Sah Füße auf den Pedalen, braungebrannte Füße in Sandalen, und zwei zarte Hände, die die Bremsen zogen, bis das Rad die Fahrt verlangsamte und stehen blieb …
Clea.
Sie drehte sich zu den langen blonden Haaren um, die so aussahen wie die von Maya. Clea war zurück und hatte sie nach all der Zeit gerettet … Es ist mir egal, dass du uns nicht geschrieben oder angerufen hast. Ich verzeihe dir. Ich liebe dich. »Ich bin so froh, dass du hier bist«, sagte sie.
Ein Windstoß blies das blonde Haar zurück, und Brenna sah, dass das Gesicht nicht das von Clea, sondern das von Diandra war. Sie öffnete lächelnd den Mund und bleckte dabei reihenweise spitze Zähne, wie ein Hai …
»Nein!«, schrie Brenna.
»Ma’am?«
Ihre Augen flogen auf, doch erst nach einem Augenblick erkannte sie, dass sie erneut im Warteraum des Krankenhauses saß.
»Ma’am?« Es war die junge Schwester – deren Blick noch immer viel zu unschuldig für einen Menschen ihres Alters war.
Brenna fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich bin eingeschlafen«, sagte sie, als hätte das Mädchen das nicht bereits bemerkt.
»Ja. Es tut mir leid, Sie aufzuwecken, aber Ihre Freundin, Annette?«
»Ja?«
»Sie hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass sie heimgefahren ist. Sie sollen
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