Aschebraut (German Edition)
ihm als Gastprofessor angeboten worden war. Und ihn dort mit Fragen bombardiert. Noch mal jung sein, hatte er dabei gedacht. Er, der selbst einmal wie Shane gewesen war. Mit demselben selbstbewussten Gang und demselben breiten Grinsen im Gesicht. Bereit zur Eroberung der Welt … Wir können die Mörderstrecke packen, Babe. Wir schaffen alles, was wir wollen.
Einmal, als er seine Sachen eingesammelt hatte, hatte Shane auf ihn gewartet und ihn lächelnd angesehen, als hätten sie ein gemeinsames Geheimnis. »Meine Freundin war als Kind eine Klientin von Ihnen«, hatte er gesagt. »DeeDee Walsh. Erinnern Sie sich noch an sie?«
Gary hatte dieser Name nicht das mindeste gesagt. Trotzdem hatte er genickt. »Sicher. DeeDee Walsh. Na klar.«
»Sie redet die ganze Zeit von Ihnen.«
»Ach.«
»Meint, Sie wären der großartigste Mann, dem sie jemals begegnet ist.«
»Ohne Witz?«
»Ja. Weshalb ich, ehrlich gesagt, ein bisschen eifersüchtig auf Sie bin.«
»Und was macht sie jetzt? Ist sie immer noch Schauspielerin?«
»Sie gibt sich alle Mühe, und sie ist auch wirklich gut. Alles, was ihr fehlt, ist der große Durchbruch. Im Augenblick jobbt sie als Kellnerin in Barney’s Beanery. «
Und wer könnte es einem Mann verdenken, wenn er mal allein essen ging? Wer hätte ihm verdenken sollen, dass er, als seine Frau mit seinen Töchtern unterwegs gewesen war, auf einen Hamburger in ein Lokal gegangen war, das er zum letzten Mal besucht hatte, als er … oje … so alt wie Shane gewesen war?
Dieser eine Abend lag inzwischen drei Jahre zurück, aber Gary fühlte sich so alt und so erschöpft, als wäre er schon dreißig Jahre her. Die Wände des Apartments waren mit Schwarzweißfotos von DeeDee – oder von Diandra Marie, wie sie sich inzwischen nannte – übersät. Auf einem trug sie eine Brille sowie eine hochgeschlossene Bluse, und auf einem anderen hatte sie nackte Schultern, feuchtglänzende Lippen und genauso feuchtglänzendes Haar … Welchen Weg war er gegangen, dass er hier gelandet war, in dieser viel zu teuren Wohnung einer Möchtegern-Schauspielerin, diesem Spielplatz für Erwachsene, nachdem er vor nicht mal achtundvierzig Stunden noch an seinem eigenen Küchentisch in Pasadena seine Tochter Hannah hatte trösten müssen, weil die Zahnfee nicht so großzügig wie sonst gewesen war.
Momentan ging DeeDee ihrer regulären Arbeit nach – als Kellnerin bei Harry’s Hamburger im Theaterviertel, was ein ganz ähnlicher Name war wie Barney’s Beanery. Ruhen Sie sich erst mal aus , hatte sie ihn mit ihrer antrainierten atemlosen Stimme angewiesen, ehe sie gegangen war. Bevor Sie es sich versehen, bin ich schon wieder da.
Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass er sie mal als Agent vertreten hatte. Was ihm allerdings auch deutlich lieber war.
DeeDee arbeitete in dem Burgerladen, seit sie nach New York gekommen war, hatte aber während ihrer kurzen Tätigkeit als Errols Engel eine Pause eingelegt. Gary fragte sich, was die Kolleginnen von Harry’s wohl von diesem Prachtapartment dachten, das für ihresgleichen viel zu teuer war. Dass sie einen reichen Gönner hatte, was wohl sonst? Und hatte DeeDee ihnen von ihm erzählt?
Denn schließlich hatte sie auch Shane von ihm erzählt. Shane Smith – auch Brenna Spector hatte diesen Namen während ihres Telefongesprächs erwähnt. Und falls ein Name einen Menschen niederschlagen konnte …
Er riss sein Prepaid-Handy aus der Jackentasche, rief auf DeeDees Handy an, und schon nach dem ersten Klingeln war sie am Apparat. »Hallo?« Im Hintergrund hörte man Restaurantgeräusche – leise Stimmen, Popmusik, das Weinen eines Babys … ein Geräusch, das ihn an Hannah denken ließ.
Sein Gehirn war immer noch umnebelt, und vor allem brummte ihm der Schädel. Weil der frisch genossene Alkohol verzweifelt mit dem einsetzenden Kater rang. »Was läuft zwischen dir und Shane?«
Hatte sie nach Luft gerungen? »Warte … lass mich kurz nach draußen gehen.«
»Geh, wohin du willst. Aber sieh zu, dass du die Wahrheit sagst.«
Keuchend suchte sie nach einem ruhigen Platz, und er konnte beinahe spüren, dass sie zitterte wie Espenlaub. Sie war tatsächlich noch ein Kind, und während eines Augenblicks tat sie ihm richtiggehend leid. Sein halbvolles Whiskeyglas stand auf dem Tisch im Wohnzimmer. Er nahm den nächsten großen Schluck, spürte, wie er erst in seiner Kehle brannte und sich dann wärmend in seiner Brust verteilte, bis er wieder
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