Aschebraut (German Edition)

Erstes rausgefunden haben, und jetzt will ich wissen, was das Zweite ist.«
    Der letzte Teil des Satzes klang wie wassasszweiteiss. Ein Zeichen dafür, dass er eindeutig betrunken war. »Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte sie.
    »Mir ist scheißegal, was Sie über den Typen rausgefunden haben. Denn ich habe keine Ahnung, wer das ist. Ich habe Sie engagiert, um Lula Belle zu finden.«
    Irgendetwas stimmte einfach nicht mit ihm – nicht nur, weil er in Bezug auf Tannenbaum eindeutig log oder weil er schon am frühen Morgen sturzbetrunken war, obwohl erst vor einem Monat auf der Webseite von Mach dich schlau ein von ihm verfasster Aufsatz mit der Überschrift Warum ich zu Alkohol und Drogen immer nein sage erschienen war.
    Nein, es war noch etwas anderes. Gary Freeman mit der warmen Stimme, Gary Freeman, den sie nett gefunden hatte, ohne ganz genau zu wissen, was der Grund für ihre Sympathie für diesen Fremden war – dieser Gary Freeman hatte eine geradezu erschreckende Verwandlung durchgemacht.
    »Ich habe Ihnen doch bereits erklärt, dass RJ Tannenbaum und Lula Belle wahrscheinlich zusammen waren, als die Frau verschwunden ist«, rief sie Gary in Erinnerung.
    »Der Typ ist mir total egal. Weil er ein verdammter Niemand ist!«
    Seine Stimme dröhnte derart laut in ihrem Ohr, dass sie mit den Zähnen knirschte. Trotzdem stellte sie mit möglichst ruhiger Stimme fest: »Er war an derselben Filmschule wie Sie.«
    »Gerade mal ein Vierteljahr.«
    »Dann kennen Sie ihn also doch.«
    »Nein.«
    »Er hat Ende September viermal mit Ihrer Agentur telefoniert. Worüber haben Sie bei diesen Anrufen gesprochen?«
    »Ich habe nie mit ihm gesprochen«, erwiderte er, wobei das letzte Wort eher wie gesprchn klang.
    »Kennen Sie Shane Smith, Gary?«
    »Nein!«
    »Und wie steht es mit Diandra? Ich weiß nicht, wie sie weiter heißt, aber das ist ein so ungewöhnlicher Vorname, dass Sie sich doch bestimmt …«
    »Sie sind gefeuert!«
    »Wie bitte?«
    »Sie sind gefeuert, Sie mentaler Freak!«
    Und mit einem Klick legte er auf.
    Ich hätte diesen Typen überprüfen sollen, dachte sie, während sie weiter hinter Nick in Richtung von Mount Temple fuhr. »Aber ich werde sie trotzdem finden«, flüsterte sie trotzig. »Ich werde sie trotzdem finden.« Sie umklammerte das Lenkrad ihres Sienna und sah reglos geradeaus. »Aber erst mal finde ich RJ.«
    N
    Die Aussicht aus DeeDees Apartment war einfach phänomenal. Aber schließlich wusste Gary auch genau, wie hoch die Miete war. Drei Jahre zuvor, als sie auf seinen Vorschlag hin L. A. verlassen hatte und hierhergezogen war, hatte er gedacht, er zahle einen eher geringen Preis dafür, dass DeeDee keinem Menschen von der Nacht mit ihm erzählte – einer Nacht, an die er selbst sich kaum erinnern konnte, weil er von dem ganzen Scotch sternhagelvoll gewesen war. Dabei trank er für gewöhnlich nie.
    Ein Jahr später hatte Gary sich für Notfälle ein Prepaid-Handy zugelegt, dieses Mädchen seither regelmäßig angerufen und ihr seine Geldprobleme, seinen Ärger im Beruf, seine Hoffnungen und Ängste und am Ende selbst seine Geschichte anvertraut. Denn er hatte sich gesagt, dadurch wäre das Geld, das er für die Wohnungsmiete zahlte, mindestens genauso gut wie bei einem Therapeuten angelegt.
    Und als DeeDee damit angefangen hatte, dass sie alles für ihn täte, und er seit dem Telefongespräch tatsächlich nie wieder von RJ Tannenbaum belästigt worden war, hatte er ihr weiter regelmäßig einen Scheck geschickt, ohne je zu hinterfragen, was genau geschehen war.
    Aber jetzt …
    … stand er im beißend kalten Wind auf dem Balkon ihres Apartments, sah die aufgeblähten Weihnachtswolken über dem East River, konnte aber an nichts anderes als das Chaos denken, das von DeeDee Walsh in seinem Leben angerichtet worden war. Finanziell, emotional, spirituell.
    Sie liebte ihn trotz all seiner Fehler. Unterstützte ihn bei allen schlimmen Dingen, die er tat, kannte seine dunkelsten Geheimnisse und hielt selbst dann noch an ihm fest, wenn er sie niederschlug. Klammerte sich an ihm fest und hielt ihn über Wasser, weil sie nicht erkennen wollte, dass es für sie beide besser wäre, ließe sie ihn endlich untergehen.
    DeeDee Walsh. Sein Mädchen. Dieses arme, fehlgeleitete Geschöpf. Hast du unsere Geheimnisse verraten, DeeDee? Hast du selbst dich einem anderen Menschen anvertraut?
    Shane Smith. Ein attraktiver junger Mann. Hatte mal ein Seminar über die Arbeit mit Kinderstars besucht, das von