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Aschebraut (German Edition)

Aschebraut (German Edition)

Titel: Aschebraut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Gaylin
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wenigen Orte aufgelistet, an die er Schecks für Lula Belle geschickt hatte und die ihm in Erinnerung geblieben waren. Es waren insgesamt nur drei: Atlantic City, Portsmouth in Virginia und Louisville, Kentucky. Das Postfach in Louisville, das älteste der drei, hatte Lula Belle erst Anfang dieses Jahres über ein paar Monate hinweg benutzt. Seltsam, dachte Brenna. Nicht dass Gary sich nur noch an drei der Postfächer erinnern konnte, sondern dass es die zuletzt von ihr benutzten Postfächer gewesen waren. Brenna schnappte sich ihr Telefon und rief ihn auf seinem Prepaid-Handy an.
    »Eine Sekunde«, sagte Gary Freeman statt einer Begrüßung, und dann hörte Brenna, wie er sich bei jemandem entschuldigte, bevor er eine Tür hinter sich zuzuziehen schien. Ihr Blick fiel von den drei Adressen, die er aufgelistet hatte, auf die letzte Mail von Lula Belle. [email protected]. Niedlich. Und vollkommen wertlos. Denn man brauchte praktisch keinerlei persönliche Angaben zu machen, damit man bei Hotmail ein Account bekam.
    »Sind Sie allein?«, flüsterte Gary.
    »Ein für alle Mal«, antwortete Brenna ihm. »Wenn ich Sie anrufe, wird niemals jemand in der Nähe sein. Die Frage können Sie sich also sparen.«
    Er atmete erleichtert auf. »Was gibt’s?«
    »Eins verstehe ich bei diesen Postfachadressen nicht.«
    »Was?«
    »Sind das wirklich die einzigen Adressen, an die Sie sich noch erinnern können?«
    »Tut mir leid, Ms Spector.« Gary stieß ein leises Lachen aus. »Wir haben nicht alle ein so gutes Gedächtnis wie Sie.«
    »Oh, das ist mir bewusst. Es ist nur so, dass sich die meisten Leute meiner Erfahrung nach immer am ehesten an das erste Mal erinnern.«
    »Wie bitte?«
    »Ihr erstes Date, ihr erstes Konzert, das erste Mal, als ihnen jemand gesagt hat ›Ich liebe dich.‹ Das erste Treffen mit dieser Person. Die Menschen erinnern sich normalerweise eher daran, wenn irgendetwas zum ersten statt zum neunten, zehnten oder elften Mal passiert.«
    »Ich verstehe immer noch nicht, was Sie damit sagen wollen.«
    »Ich hätte gedacht, Sie wüssten noch, wo das erste Postfach war.«
    »Hmm. Da haben Sie natürlich recht. Ich nehme an, das habe ich vielleicht verdrängt, aber lassen Sie mich nachdenken …« Obwohl Gary weitersprach, hörte ihm Brenna nicht mehr zu, sondern las, was in der letzten Mail von Lula Belle an Gary stand. Wie er bereits gesagt hatte, beschränkte sich die Mail auf eine kurze Zeile. Keine Anrede, kein Gruß zum Schluss. Nur ein Postfach und ein Ort. Brenna starrte auf die Mail und spannte sich dabei sichtlich an.
    »Tut mir leid, aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern …«, sagte Gary.
    »Diese Mail«, fiel Brenna ihm ins Wort und fuhr, obwohl sie sich verzweifelt wünschte, ihre Stimme würde nicht so zittern, fort: »Die letzte Mail, die Sie von ihr bekommen haben. Dieses letzte Postfach. »
    »Ja. Ist etwas damit nicht in Ordnung?«
    »Der Scheck, den Sie ihr dorthin geschickt haben – an diesen … diesen Ort. Wurde der jemals eingelöst?«
    »Nein«, antwortete er langsam. »Hat denn dieser Ort eine besondere Bedeutung?«
    »Vielleicht nicht für diesen Fall«, stieß sie mit rauer Stimme aus. Aber wenn er wirklich den Artikel in Liebermans Buch gelesen hatte, musste Gary wissen, dass der Ort für sie eine besondere Bedeutung hatte. Weil sie dort, in City Island, aufgewachsen war.

5
    Brenna träumte, dass »der weiße Hai der Straßen« auf dem City Island Boulevard an einer Ampel stand und ihr Vater schluchzend seinen Kopf aufs Lenkrad sinken ließ. Überall um sie herum hörte sie lautes Hupen, und während sie auf die Ampel starrte, dehnte sich die Angst in ihrem Körper aus. Sie spürte sie sogar in ihren Haarspitzen, als jemand brüllte: »He, du Arsch, fahr endlich los!« Es klang, als würde dieser Kerl bei ihnen im Wagen sitzen – dieser Fremde, der Verwünschungen in Richtung ihres Vaters ausstieß, der ihren Vater hasste. Ihren Vater, der laut schluchzend und zitternd wie Espenlaub über dem Lenkrad hing. Am liebsten wäre Brenna ebenfalls in Tränen ausgebrochen. Hätte ihrem Dad gesagt, dass er die Fenster und die Türen schließen sollte, damit dieser Mensch nicht in den Wagen kam. Doch sie brachte keinen Ton heraus. Warum weinte Dad? Sie hatte ihn noch nie weinen sehen. War es irgendetwas, was sie gesagt hatte? Was hatte sie gesagt? Weshalb war sie plötzlich wieder hier in City Island, weshalb saß sie plötzlich abermals im weißen Hai der Straßen,

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