Aschebraut (German Edition)
Hintergrund erklingt. Brenna hat zwei Gläser Champagner getrunken, aber nichts gegessen, und jetzt ist ihr etwas schwindelig. Sie stehen direkt neben dem Baum – einer riesengroßen Pinie –, und Brenna konzentriert sich auf die weiße glitzernde Keramikschneeflocke, die direkt vor ihrer Nase hängt. Sie erinnert sie an irgendetwas aus ihrer Kindheit, etwas Tröstliches und Warmes, das sie nicht genau benennen kann.
»Brenna?« Jim schiebt seine Hand in Richtung ihres Schulterblatts, und sie dreht sich zu ihm um. »Bist du okay?«
Sie sieht ihm in die Augen – braun mit goldenen Sprenkeln – und weicht unmerklich vor ihm zurück. Sie kann seinen Atem spüren. »Wenn du dich an was erinnerst, sagst du es mir, ja? Ich kann dir helfen. Ich möchte dir immer helfen …«
Es klingelte an ihrer Tür, und mit tränenfeuchten Augen kehrte Brenna in die Gegenwart zurück. Sie fühlte sich einsam und vermisste Jim. Warum hatte sie sich das nur angetan? Warum tat sie sich mit grauenhafter Regelmäßigkeit so etwas an?
Es klingelte erneut.
»O nein.« Sie erinnerte sich Wort für Wort an die peinliche Nachricht, die sie fünf Stunden zuvor Nick Morasco hinterlassen hatte. Eilig wischte sie die Tränen fort, räusperte sich kurz und fragte durch die Gegensprechanlage: »Ja?«
»Nicholas Morasco. Ich möchte zu Brenna Spector.«
Sofort wogten heiße Schuldgefühle in ihr auf. Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen. Aber ich war gerade damit beschäftigt, einem anderen nachzuweinen, auch wenn der bereits seit Jahren ein Fremder für mich ist.
Sie schüttelte diesen Gedanken ab und drückte auf den Knopf. »Sollte es nicht heißen, Senior Detective Nicholas Morasco?«
»Nein. Schließlich wollen wir Pornos gucken, und vor allem bin ich nicht im Dienst.«
Lächelnd drückte sie den Öffner, hörte, wie Morasco leichtfüßig die Treppe und danach den Flur heraufgelaufen kam, und öffnete die Tür.
Sein Anblick wärmte ihr das Herz. Aus irgendeinem Grund standen ihm das wirre Haar, die Nickelbrille, die spätnachmittäglichen Bartstoppeln und die unvermeidliche Kombination aus Tweedjacke und Jeans ausnehmend gut. Brenna konnte immer noch kaum glauben, dass der Mann, der immer irgendwie zerknittert aussah, Polizist und nicht Professor war.
»Es sind keine echten Pornos«, klärte sie ihn auf, »sondern Performance-Kunst.«
»Ach ja, stimmt. Dann brauche ich auf alle Fälle einen Drink.«
Sie holte zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank – Brooklyn IPA, das Faith vor einer Woche mitgebracht hatte – und führte Nick zur Couch. Sie stießen miteinander an, er erzählte ihr von seinem relativ ereignislosen Arbeitstag, und sie erkundigte sich nach dem neuen Chef der Polizei von Tarry Ridge – einem Nick zufolge anständigen Kerl. (Der jedoch, wie Brenna wusste, nur die zweite Wahl gewesen war. Denn Nick selbst hatte das Angebot, den Job zu übernehmen, dankend abgelehnt.)
Dann erzählte sie ihm alles, was bei ihr an diesem Tag geschehen war – außer von ihrem Gespräch mit Gary Freeman –, und bis sie mit dem Bericht geendet hatte, fühlte sie sich wieder wie sie selbst.
»Errol Ludlow? Kein Wunder, dass es bei dem Fall um Pornos geht.«
Brenna nickte. Es gefiel ihr nicht, Morasco anzulügen. Obwohl sie nicht wirklich log. Sie hatte die Tatsache, dass Errol inzwischen gefeuert worden war, nur einfach nicht erwähnt.
Allerdings bedachte Nick sie mit einem derart durchdringenden Blick, dass sie eilig auf den Boden schaute.
Seine dunklen Augen schienen direkt in ihr Hirn zu sehen. Brenna wusste, dass er diesen Blick hauptsächlich hatte, weil er kurzsichtiger als ein Maulwurf war, aber trotzdem.
Sie holte ihren Laptop und klappte ihn auf dem Couchtisch auf. »Und, bist du bereit für ein bisschen Performance-Kunst?«
Er sah sie mit einem schiefen Lächeln an. »Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mir nicht wünschte, dass das nur eine Umschreibung für was anderes ist.«
Brenna spürte, dass sie rot wurde. »Ich auch«, erklärte sie, bevor sie merkte, dass er auf den Bildschirm starrte – auf dem immer noch das Foto von der Weihnachtsfeier war.
Eilig klickte sie das Bild weg.
»Hübsches Kleid«, bemerkte er.
»Es ist uralt.« Sie nahm einen großen Schluck Bier, und dabei fiel ihr ausgerechnet Ludlow ein. Ludlow, wie er ihr um 9 Uhr 45 im Waverly Diner gegenübersaß. Am liebsten hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst, als er hämisch grinsend von ihr wissen wollte:
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