Aschebraut (German Edition)

Manchmal schlief Jill während Yasmines Shavasana sogar ein – weil ihre Stimme so beruhigend war. Heute allerdings bekam sie nicht einmal die Augen richtig zu.
    Vierzehn Tage. In der Grundschule hatte Schwester Eunice gesagt: » Mit Ausnahme von vielleicht Wasser gibt es nichts, ohne das ein Mensch nicht vierzehn Tage lang auskommen kann.« Und auf eine Gruppe zehnjähriger Mädchen, für die es nichts Wichtigeres auf der Welt als Erdnuss-M&Ms und Erdbeerlipgloss gab, traf das vielleicht tatsächlich zu.
    Sie haben gut reden, Schwester Mary Eunice, weil Sie schließlich eine Nonne sind.
    »Konzentriert euch jetzt auf eure Bauchmuskeln – die Crista iliaca, den Umbilicus, die Rektusscheide –, spürt, wie sie anfangen zu schmelzen, in den Boden fließen, und spürt dem orangefarbenen Licht der Kreativität, der Freude, des sinnlichen Vergnügens nach.«
    Am liebsten hätte Jill geschrien. Reiß dich zusammen. Atme erst tief ein und dann schön langsam wieder aus … Für die meisten Paare waren vierzehn Tage ohne Sex nach zwanzig Jahren Ehe sicher keine große Sache. Beispielsweise hatte ihre Freundin Cathy letzte Woche beim Kaffee im Starbucks beiläufig erwähnt, sie und Alex hätten es vor einem Vierteljahr zum letzten Mal getan. Vor einem Vierteljahr – was für Cathy offenkundig vollkommen in Ordnung war. Es war sogar eine Erleichterung, hatte sie ihr erklärt, weil Alex furchtbar anspruchsvoll gewesen wäre, bevor ihm von seinem Arzt die Antidepressiva verordnet worden waren. »Endlich kann ich im Bett lesen«, hatte sie erklärt, als hätte sie zeit ihres Lebens von nichts anderem geträumt. »Und ich brauche mir auch nicht mehr jeden Tag die Beine zu rasieren.«
    Drei Wochen zuvor hätte Jill wahrscheinlich echtes Mitgefühl mit ihr gehabt. Inzwischen aber tat sie sich vor allem selbst leid.
    Ihr Mann Gary war im Bett immer wunderbar gewesen – liebevoll und zärtlich, wenn sie es gewollt hatte, und stark und leidenschaftlich, wenn sie selbst eher wild gewesen war. Die wenigen Male, an denen sie während ihrer dreijährigen Freundschaft und der zwanzig Jahre ihrer Ehe keine Lust gehabt hatte, mit ihrem Mann zu schlafen, konnte sie wahrscheinlich an den Fingern einer Hand abzählen. Und dann war sie krank gewesen oder kurz vor einer Niederkunft, hatte also echte Gründe für das kurzfristige Ausbleiben ihrer gewohnten Leidenschaft gehabt.
    »Konzentriert euch auf die Brustmuskeln – den Pectoralis major und minor. Spürt, wie sie in den Boden fließen und die Herzen wärmen.«
    Als sie damals zusammengekommen waren, hatten Garys Freunde Witze darüber gemacht, dass er ihrer nicht würdig war. Sie hatten gesagt, dass sie wie Billy Joel und das Model Christie Brinkley wären, und darüber spekuliert, ob Gary Jill vielleicht nur angeheuert hatte, um sich einen gewissen Glamour zu verleihen. Denn sie hatte damals Bademode auf dem Laufsteg vorgeführt und war vor allem fast zehn Jahre jünger und fünf Zentimeter größer als der untersetzte, etwas grobschlächtige Gary aus dem Osten mit dem dunklen, durchdringenden Blick. Was findet dieses Klasseweib an dir?, hatte Garys Trauzeuge Chris Curtis während seiner Hochzeitsansprache gescherzt – weil oder obwohl er selbst nicht unbedingt ein großartiger Fang gewesen wäre. Was ist dein Geheimnis, Mann?
    Doch schon damals, als schüchterne Braut von zweiundzwanzig Jahren, die noch bis vor kurzem Klosterschülerin gewesen war, hatte sie den Bräutigam über den Rand von ihrem Sektglas hinweg angesehen und auf eine Art gegrinst, die ihr sicher eine Ohrfeige der Nonnen eingehandelt hätte. Wenn du wüsstest, Chris Curtis, hatte sie in dem Moment gedacht.
    Aber in den letzten beiden Wochen … das hieß, wenn sie ehrlich war, schon in den letzten Monaten.
    Natürlich hatten sie auch weiter regelmäßig Sex, denn keinen Sex mit ihrem Mann zu haben, hätte sie wahrscheinlich umgebracht. Trotzdem herrschte zwischen ihnen plötzlich eine seltsame Distanz. Sie lagen zusammen im Bett, saßen nebeneinander auf der Zuschauertribüne, während Hannah Fußball spielte, Tessa als Cheerleaderin turnte oder Lucy einen Gymnastikwettkampf hatte, frühstückten zusammen oder saßen abends auf der Couch und sahen fern – und plötzlich kam es ihr so vor, als ginge Gary irgendetwas durch den Kopf, etwas, von dem sie nichts wusste und von dem sie nie etwas erfahren würde.
    Was ist dein Geheimnis, Mann?
    »Konzentriert euch auf den Hals – den Levator scapulae, den