Aschebraut (German Edition)
Stimme irgendwo in ihrem Inneren. Fahr nach Hause und sag Gary, dass du ihn allein sprechen willst. Bring ihn dazu, dir alles zu erklären – das distanzierte Verhalten, das Prepaid-Handy, was er nachts um vier hinter der verschlossenen Tür von seinem Arbeitszimmer macht … und wenn er auf irgendeine Art versucht, sich rauszureden, zeig ihm einfach die drei Nummern, die du aufgeschrieben hast. Dann wird er dir die Wahrheit sagen müssen. Und wahrscheinlich ist sie nicht mal halb so schlimm, wie du dir einredest. Das war ein guter Rat – genau das hätte sie auch jeder ihrer Freundinnen empfohlen, hätte die sich mit diesem Problem an sie gewandt.
Jill fuhr sich mit der Hand durch das verquollene Gesicht. Es war kaum zu glauben, dass ein Mensch so viele Tränen in sich haben konnte, doch zumindest war der Strom jetzt offenbar versiegt. Eine von den Nonnen – Jill hätte nicht sagen können, welche – hatte mal zu ihr gesagt: Gott ist das Gefühl, das man nach dem Weinen hat – dieses Gefühl der Ruhe und des Trosts.
Sie meinen, Gott ist in diesem Gefühl, richtig, Schwester?
Nein, meine Liebe. Gott ist dieses Gefühl. Er ist die Ruhe, aus der deine Kraft erwächst.
Wahrscheinlich war das Weinen einfach eine Überreaktion gewesen – nach den Yogastunden war sie immer sehr emotional. Und vor allem ging es schließlich erst seit vierzehn Tagen so.
Jill griff in ihre Handtasche und tastete nach einem Kleenex. Plötzlich aber schlossen ihre Finger sich erst um ihr Handy und dann um den Zettel mit den Nummern, die von Gary angerufen worden waren. Sie hatte nicht vorgehabt, selbst diese Nummern anzurufen, sondern sie nur aufgeschrieben, um sie Gary vorhalten zu können. Aber wieder überraschte sie sich selbst.
Eilig drehte sie ihr Handy um und gab die erste Nummer ein.
N
Errol Ludlow nahm das Klingeln seines Handys nur am Rande wahr. Seine neueste Angestellte wollte gerade gehen, und sie war eine dieser Frauen, die von hinten besser als von vorn aussahen. Was einiges heißen wollte, weil auch ihre Vorderansicht rundherum phantastisch war. Lächelnd blickte er ihr hinterher. »Das war ein höchst erfreulicher Besuch.«
Was es in der Tat gewesen war. Für gewöhnlich lud er keine Angestellten zu sich in die Wohnung ein – weil es immer ein Fehler war, mischte man Geschäfte und Privatvergnügen –, aber Diandra war nun einmal etwas ganz Besonderes. Ja, sie nannte sich Diandra – eine leichte Abwandlung des griechischen Dianthe, was »Blume der Götter« hieß. Wahrscheinlich hieß sie in Wahrheit Maddy oder Brittany – weil sie ungefähr so griechisch wie sein eigener Hintern war –, aber sie war ein wahrhaft himmlisches Geschöpf.
»Du hast einfach ein ausgemachtes detektivisches Talent«, erklärte Errol ihrem Rücken. »Das, was du geleistet hast, hat wirklich höchstes Lob verdient.«
Sie drehte sich noch einmal zu ihm um und bedachte ihn mit einem Grinsen, das die Gürtelschnalle eines Mannes schmelzen ließ. »Sprichst du von den Bildern, die ich im Hustler Club gemacht habe? Oder davon, wie wir gefeiert haben, dass sie mir gelungen sind?«
Errol wurde rot – errötete, obwohl er schon ein alter Bock und hinlänglich erfahren war. Wenn er ehrlich war, hatte er von den Aufnahmen gesprochen – überraschend klaren Bildern irgendeines armen, bald geschiedenen Kerls mit Namen Dr. Marvin Greene, mit einer Vorliebe für Körbchengröße E, in die er als Zeichen seiner Anerkennung gerne haufenweise Hundert-Dollar-Scheine schob. Aber nun, da Diandra es erwähnte … »Nun, ich meine, unsere Feier war …«
»Der Wahnsinn.«
»Ja.«
»Oder eher der totale Wahnsinn.«
»Meine Güte, ja.«
»Aber schließlich ist es mir ja auch in jeder Hinsicht ein Vergnügen, für Sie tätig zu sein.« Diandra sah ihn an, um sich zu vergewissern, dass die doppelte Bedeutung dieses Satzes bei ihm angekommen war.
»Vielen Dank.«
Und erst nachdem sie durch die Wohnungstür geglitten war, sie hinter sich ins Schloss gezogen hatte und er wieder Luft bekam, drang erneut das Klingeln seines Handys an sein Ohr. Eilig ging er an den Apparat.
»Ludlow.«
»Bitte?«
Errol hatte immer schon genau darauf geachtet, dass er laut und deutlich sprach. Da seine Mutter schwerhörig gewesen war, hatte er sich schon als Kind um eine gute Aussprache bemüht. Deshalb sagte niemals jemand »Bitte?«, wenn er mit ihm sprach. »Lud. Low«, wiederholte er etwas gereizt und warf einen Blick auf das Display. Der Anruf
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