Aschebraut (German Edition)
vertraut.
Aber jetzt lagen die schlechten Zeiten hinter ihnen, jetzt war alles wieder gut. Nachdem sie sich geliebt hatten und Gary leise schnarchend eingeschlafen war, hatte sie sich noch mal aus dem Bett geschlichen, nach dem Zettel mit den Telefonnummern gesucht und ihn aufatmend im Mülleimer entsorgt.
Jetzt schlang Gary ihr im Schlaf die Arme um den Bauch. Sie küsste ihn zärtlich auf den Kopf und kniff die Augen zu. Trotzdem sickerten aus ihren Augenwinkeln ein paar Tränen, und sie schlug die Augen wieder auf. Sie liebte ihn. Nach all den Jahren liebte sie ihn mehr denn je. Sie liebte ihn so sehr, dass es fast schmerzlich war.
Gary murmelte etwas im Schlaf. Es klang wie »Tut mir leid«.
Schon gut, mein Liebling. Jetzt ist alles wieder gut. Ich liebe dich so sehr.
Jill tat einen tiefen, reinigenden Atemzug. Erst vor ein paar Wochen hatten sie und Gary einen Pranayama- Kurs mitgemacht, dort hatte man ihr diese Technik beigebracht. Die Lehrerin, ein Mädchen namens Lily, hatte sie sehr gerngehabt. Nicht ganz so gern wie Yasmine, die all diese wunderbaren Fachausdrücke kannte, aber deutlich lieber als das Bikram-Mädchen, bei dem ständig Kurse ausfielen, weil sie lieber zu dämlichen Castings für billige Seifenopern oder kurze Werbefilmchen ging.
Jill hörte ein Geräusch. Erst dachte sie, sie hätte es sich eingebildet, weil sie schließlich gerade in der Einschlafphase war. Aber als sie ihre Augen aufschlug, hörte sie es wieder. Und danach ein drittes Mal.
Das Vibrieren eines Handys.
Irgendwo auf Garys Seite.
Aber nicht auf seinem Nachttisch, auf dem Jill sein Handy liegen sah, sondern auf dem Stuhl, auf dem ein Haufen Kleider lag. Sie stand auf und näherte sich vorsichtig dem Kleiderberg.
Seltsam, was für Dinge einem durch den Kopf gingen, während das Leben vollends aus dem Gleichgewicht geriet.
Es war gerade mal sechs Uhr an einem Sonntagmorgen, und obwohl in diesem Augenblick in ihrem Schlafzimmer ein Handy surrte, das ihr eigener Ehemann vor ihr versteckt zu haben schien, dachte sie an die bevorstehende Spendengala, daran, dass sie die PR-Firma trotz ihrer unverschämten Forderungen weiter engagieren und sich obendrein ein neues Kleid für diesen Anlass gönnen würde. Das Fünftausend-Dollar-Etuikleid von St. John, das momentan im Schaufenster von Barney’s hing. Und wenn sie schon dabei war, würde sie auch ihren Töchtern neue Kleider kaufen, denn die hatten sie verdient, und selbst wenn sich irgendwer um sechs an einem Sonntagmorgen einfach nur verwählt hatte, besaß ihr Mann auch weiter ein geheimes Handy. Nicht das Handy, das in seiner Schreibtischschublade gelegen hatte, sondern eine andere Marke, merkte Jill, als sie es aus der Brusttasche des Hemdes zog. Ein Nokia, obwohl sie alle Motorolas hatten. Mit einem Familientarif, aber der galt für dieses Nokia sicher nicht.
Denn dieses Nokia hatte mit ihrer Familie nicht das mindeste zu tun.
Sie schaute auf das Display und entdeckte keine Nummer, sondern einen Namen. DeeDee.
Eilig drückte sie den grünen Knopf. Sie sagte nicht hallo. Sie sagte keinen Ton, sondern atmete nur leise ein und aus.
Und hörte die Stimme eines Mädchens. Jung, zerbrechlich, atemlos.
»Es ist vollbracht«, erklärte sie. Erklärte DeeDee. Und legte nach einer kurzen Wartepause wieder auf.
N
»Er wird Sie nie wieder belästigen«, sagte sie in ihrer Phantasie zu Mr Freeman. Diandra führte oft lange Gespräche mit dem Mann, als wäre er tatsächlich da. Sie erzählte Mr Freeman alles, was ihr auf dem Herzen lag, und in ihrer Phantasie erteilte er ihr all die guten Ratschläge, die sie im wahren Leben nie bekam. Sie sprachen über alles, doch vor allem über ihre Kunst … »Du hast das alles in dir, DeeDee«, sagte er. »Du hast das Zeug zur Heldin, zur Verbrecherin, zur Göttin und zur Schlampe. All das hast du in dir – jede Eigenschaft von jedem einzelnen Charakter, den es je in einem Drehbuch gab, ist unter deiner wunderschönen Haut versteckt. Du brauchst sie nur hervorzuholen, damit die Welt sie sieht, DeeDee. Du kannst jede Rolle spielen. Es gibt nichts, was du nicht kannst.«
Das hatte er tatsächlich mal zu ihr gesagt. Oder? Die realen und die eingebildeten Gespräche überschnitten sich in ihrem Kopf – und vor allem die Gespräche, die schon lange her waren, schmückte sie gedanklich gerne aus. Aber wenn sie eins mit Bestimmtheit wusste, dann, dass er sie brauchte. Dass der Mann sie für sein Überleben wie die Luft zum Atmen
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