Aschebraut (German Edition)
einen hellen, seidig weichen Klang.
»Sind Sie sicher?«, vergewisserte sich Brenna.
»Ich habe noch einen Termin«, erklärte Jenny und drehte sich flüchtig zu ihr um.
Dann zog sie sich die Haare in die Stirn, sagte eilig irgendeinen netten Satz zu Trent, machte auf dem Absatz kehrt, marschierte Richtung Tür, sagte »Tschüss«, und er machte die müde »Ruf-mich-an«-Geste mit Daumen und kleinem Finger und rief ihrem blonden Hinterkopf noch für den Fall, dass sie die Geste nicht verstanden hatte, ein »Melde dich mal wieder« hinterher.
Aber all das interessierte Brenna nicht. Denn sie war in Gedanken zu den Niagarafällen zurückgekehrt …
30. Oktober. Sie sitzt neben ihrer Tochter auf der Maid of the Mist , spürt den eisigen Wind in ihrem Rücken und den Eisregen, der derart kalt ist, dass er richtiggehend brennt. Das Boot legt wieder an, und die Leute stolpern eilig los . Brenna betrachtet die Passagiere, die an ihr vorüberlaufen: zwei ältere, einen kleinen Jungen, der sich schluchzend an seine Mutter presst, ein halberfrorenes junges Mädchen mit verlaufener Mascara, dessen Freund ihre Schultern derart fest umklammert, dass aus seinen Fingerkuppen alles Blut gewichen ist. Sie sieht dem Mädchen ins Gesicht, sieht die Streifen schwarzer Mascara auf ihren Wangen, sieht, dass sie total erledigt ist – noch erledigter als Maya und sie selbst zusammen –, sieht die unendliche Traurigkeit in ihren Augen, als sie ihrem Blick begegnet, während ihr argloser Freund lächelnd auf sie herunterschaut. Sie will nicht hier sein. Das wollen wir alle nicht, aber …
Das Mädchen klopft sich dreimal mit dem Zeigefinger an den Mund, als gäbe sie ihr dadurch ein Signal.
Das Geräusch der zufallenden Wohnungstür riss sie in die Gegenwart zurück. Trotzdem ging ihr ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf.
Sie will sterben …
Trent starrte auf die geschlossene Tür, als wollte er ihr einen Heiratsantrag machen, und stellte mit rauer Stimme fest: »Ich mag sie.«
»Deine Freundin. Jenny.«
»Ja.«
»Es könnte sein, dass sie dich nur benutzt, um über ihren Freund hinwegzukommen.«
»Hä?«
»Am 30. Oktober hatte sie noch einen Freund.«
»Also bitte.«
»Ich meine es ernst.«
»Du hast sie an dem Tag gesehen?«
»Sie war zusammen mit Maya und mir auf der Maid of the Mist. Irgend so ein Typ hatte den Arm um sie gelegt. Aber vielleicht war das auch nur ein total harmloses Date.«
»Warte. Sie war auf demselben Boot, auf dem du auch die Lippenklopferin gesehen hast?«
Brenna sah ihn reglos an. »Sie war die Lippenklopferin.«
Trent starrte sie aus großen Augen an.
»Die Welt ist offenbar ein Dorf. Was ist?«
»Du willst mir also sagen, dass das Mädchen, das du auf dem Boot gesehen hast – das genau dieselbe Handbewegung gemacht hat wie Lula Belle in ihrem Film … dass das sie gewesen ist?«
»Ja. Aber weswegen regt dich das so auf?«
»Und du bist dir völlig sicher? Ach, was rede ich denn da? Du bist dir schließlich immer völlig sicher. O mein Gott.«
»Du reagierst vollkommen über, Trent. Du weißt es nicht, weil du dich nicht wie ich an sämtliche Gesichter, die du einmal irgendwo gesehen hast, erinnern kannst, aber solche Zufälle gibt’s immer wieder. Weil die Welt viel kleiner ist, als man im Allgemeinen denkt. Du wärst wahrscheinlich überrascht, wenn ich dir sagen würde, wie oft ich dieselben Leute an verschiedenen Orten sehe. Auch wann man sich zwischendurch oft jahrelang nicht trifft.«
»Du verstehst nicht«, sagte Trent.
»Doch«, erwiderte sie. »Jenny hatte ganz einfach dieselbe dämliche Idee wie ich, bei Minusgraden auf der Maid of the Mist durch den Eisregen zu fahren. Was im Grunde keine große Sache ist.«
»Ich meine es ernst. Du verstehst nicht. Weil ihr Name gar nicht Jenny ist.«
»Was?«
»Sie ist Diandra.«
»Was?«
»Es war Diandra, die dir eben hier über den Weg gelaufen ist. Ich habe ihr gesagt, dass sie dir einen falschen Namen nennen soll, weil ich wusste, dass du sauer würdest, wenn du merkst, dass zwischen uns noch etwas läuft.«
»Errols Engel? Was zum Teufel hat sie hier gewollt?«
»Ich habe ihr heute Morgen eine SMS geschickt. Wirklich, Brenna. Hab Schluss mit ihr gemacht. Das heißt, ich habe nur gefragt, ob sie mal mit mir Abendessen will, was aber so ungefähr dasselbe ist.«
Brenna sah ihn an. »Wow. Du hast per SMS mit diesem Mädchen Schluss gemacht.«
»Ich bin einfach nicht gut darin, Mädels den Laufpass zu geben. Denn auch
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