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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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überantwortet«, begann Beljén ohne Umschweife. »Wir wollen ihn sehen. Sofort.«
    Der Lord richtete sich nur sehr zögernd aus seiner Verbeugung wieder auf. Das ist kein gutes Zeichen, dachte Summer.
    »Er … ist nicht hier.«
    »Sind die Gefängnisse etwa nicht in Eurem Trakt?«, schnappte Beljén.
    »Das schon«, sagte der Lord gedehnt. »Aber es wurde beschlossen … wegen der besonderen Umstände … dass er eine andere Verwahrung bekommt.«
    »Besondere Umstände?«, rief Summer. »Was soll das heißen?« Beljén wollte sie mit einem scharfen Blick zum Schweigen bringen, aber Summer trat vor und fuhr fort: »Er war verletzt. Meint Ihr das? Ist er auf einer Krankenstation?«
    Reiß dich zusammen! , ermahnte sie sich. Aber sie konnte nicht einmal vor sich selbst verbergen, wie beunruhigt sie war.
    Die Stirn des Lords begann verdächtig zu glänzen. Und er war auf der Hut, als er antwortete: »Nun, er… hat Euer Gesicht gesehen, Lady Tjamad. Wie Ihr wisst, steht darauf die Todesstrafe. Aber da Ihr ihn noch verhören wolltet und Lady Beljén befohlen hat, dass ihm nichts geschehen soll, haben wir ihn nicht bei den Soldaten untergebracht, die gestern hingerichtet wurden.«
    Summer wurde kalt. »Die Soldaten, die ihn angeschossen haben?«

    »Und die Euch bedroht haben, Lady Tjamad«, sagte Lord Joras mit Nachdruck. »Ja. Sie haben ihre Strafe erhalten.«
    »Ihr habt sie hinrichten lassen, weil sie mich ohne Maske gesehen haben?« Ihre Stimme hallte in dem Raum wider. Lord Joras wurde blass. Ein Schweißtropfen versickerte in seinem Mantelkragen.
    Beljéns Finger schlossen sich schmerzhaft fest um Summers Handgelenk. »So lautet nun mal das Gesetz der Lords«, sagte sie beinahe freundlich zu Lord Joras. »Und jetzt zurück zu meiner Frage, wo ist der Verletzte?«
    Lord Joras’ Kiefer mahlten. Im Raum war es totenstill, doch Summer war sich bewusst, dass alle Diener die Szene mit angehaltenem Atem verfolgten.
    »In den Kammern der Winde«, sagte Lord Joras schließlich. »Im ersten Turm. Ihm wurde kein Leid zugefügt. Und seine Wunden wurden verbunden. So wie Ihr es befohlen habt.«
    »Gut«, sagte Beljén.
    Summer konnte förmlich sehen, wie Lord Joras ein Stein vom Herzen fiel. Sie verbiss sich jeden weiteren Kommentar, doch kaum hatten sie die Räume verlassen, konnte sie sich nicht mehr beherrschen. »Ihr lasst Leute töten, weil sie unsere Gesichter sehen?«
    »Nicht wir, die Lords«, erwiderte Beljén. »Sie haben ihre eigenen Gesetze im Umgang mit den Zorya. Wir mischen uns nicht ein.«
    »Aber die armen Kerle haben doch nur mein Gesicht gesehen! Das war ein völlig sinnloser Tod!«
    »Es ist zu spät«, meinte Beljén lakonisch. »Wie ich schon sagte, misch dich bei den Menschen nicht ein.«
    »Zählt ein Leben hier denn gar nichts?«, entfuhr es Summer.

    »Ich verstehe nicht, was du meinst, Tjamad!« Beljén sah sie so verständnislos an, dass ihre ganze Empörung in sich zusammenfiel.
    »Hast du denn … überhaupt kein Mitleid?«, fragte sie fassungslos.
    Beljén hob die Schultern. »Natürlich bedaure ich es. Sie hatten einfach Pech. Aber mit einem Menschen leiden? Nein. Das ist auch gar nicht unsere Aufgabe. Menschen sterben alle auf die eine oder andere Weise, manche sinnlos, manche genau im richtigen Moment und aus den richtigen Gründen. Wir sind nicht dazu da, sie zu retten.«
    Summer schluckte schwer. Sie verbarg die Hände in den Taschen und schloss die Finger um Morts Katzenkopf. Irgendwo in ihrem Inneren war etwas wie eine unscharfe Stelle, eine kleine Kluft, die sie immer noch - oder wieder? - von den Zorya zu trennen schien. Und so sehr sie dagegen ankämpfte, es gelang ihr nicht, die Verbindung zu Beljén ganz wiederzufinden.
    Doch dann nahm ihre Freundin ihre Hand und erinnerte sie daran, dass sie immer noch zusammengehörten. »Dein Soldat lebt ja noch«, flüsterte sie ihr zu. »Ich hätte mich auch hier nicht einmischen dürfen. Und das sollte unser Geheimnis bleiben!«

    Der erste Turm war eindeutig viel älter als die anderen. Er bestand fast ganz aus echtem Mauerwerk, nur wenige durchsichtige Wände waren im Nachhinein eingesetzt worden. Im hinteren Teil führte eine schmale Treppe in die Höhe. Summer sah sie nur durch eine Zwischentür. Offenbar ein alter Aufgang, der nicht mehr genutzt wurde, denn im Zentrum des Turms gab es einen Aufzug.

    »Noch vor vierzig Jahren existierte nur dieser eine Wehrturm«, erklärte Beljén. »Er war die Zitadelle. Die anderen acht Häuser ließ

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