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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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seiner Reiterstiefel neben den kleineren Abdrücken ihrer bloßen Füße. Ein letzter, hastiger Kuss, dann war er schon dabei, sie wieder einmal zu verlassen. »Warte!«, flüsterte sie. Doch er hörte das leise Wort nicht. Bevor er sich davonstehlen konnte, öffnete sie den Mund, um leise seinen Namen zu rufen und …
    … sie tat es nicht, sondern erwachte mit schmerzhaft fest zusammengekniffenen Lippen und einem Herzen, das so sehr raste, als wäre sie tatsächlich eben gerannt. Indigo? Sein Name war so schnell aufgeflammt, dass sie ihn nicht sofort wieder in die Dunkelheit zurückstoßen konnte. Erst nach und nach begriff sie, wo sie sich befand. Nicht im Schnee und auch nicht in dem Elfenbeinbett, von dem sie so oft träumte, sondern auf dem Steinblock, der ihre Lagerstatt geworden war. Die Empfindung aus ihrem Traum ließ sich nicht so leicht vertreiben. Ein Ziehen wie Sehnsucht und Freude in einem. Und sie begriff, dass alles, was sie jemals für Finn oder Anzej zu empfinden geglaubt hatte, tatsächlich
nur ein zaghaftes Suchen gewesen war. Nach dieser Liebe aus ihrem früheren Leben. Habe ich ihm die Ewigkeit geschenkt, weil ich ihn liebte? Sie schloss die Augen und zwang den Schnee wieder herbei, das fliehende weiße Pferd. Nach und nach entspannte sie sich wieder und fand…
    … Feuer. Einen warmen Raum ohne Fenster. Die Wände waren mit kunstvoll bemalten Ledertapeten in dunklem Blau bedeckt. Haut schimmerte im Licht des Kaminfeuers, die einzige Lichtquelle im Raum. Diesmal lag Summer im Elfenbeinbett, an dessen Kopfende zwei Schwanenskulpturen thronten. Nein … sie saß mit angezogenen Beinen auf dem Bett, neben dem jungen Mann, gegen den sie vor wenigen Stunden noch mit dem Degen gefochten hatte. Er schlief, lang ausgestreckt. Die grauschwarzen Pelze von Robben, auf denen sie beide lagen, ließen seinen Teint heller erscheinen, als er war. Decken aus wattierter Seide bedeckten nur seine Beine und seinen Bauch, seine Oberarme und die Brust lagen frei. Sein Haar, das er lang trug wie alle Nordländer zu dieser Zeit, vermischte sich mit ihren rotblonden Wellen. Seine Lider bebten leicht, Wimpern warfen Schatten. Die Brauen waren zusammengezogen, als würde er noch im Traum kämpfen. Sie liebte es unendlich, ihn im Schlaf zu betrachten, in den wenigen, verbotenen Stunden, die ihnen blieben. Doch diese Nacht hier war anders. Heute weckte sie ihn nicht mit ihren Küssen. Sondern beobachtete ihn mit einer Kühle, die ihn frösteln ließ. Er bekam Gänsehaut auf Armen und Brust. Langsam hob sie den Arm und breitete ihren Flügelmantel über sie beide. Tausende winziger bernsteingelber Totenköpfe umgaben sie. Dann schloss sie die Augen und legte die Fingerspitzen sachte, ohne ihn zu wecken, auf seine Brust. Er
stöhnte gequält auf und murmelte etwas Undeutliches, aber er wachte nicht auf. Als sie die Augen wieder öffnete, hielt sie sein Herz in der Hand. Im Licht der zweiten Wirklichkeit war es ein pulsierendes Weiß, schwer wie Marmor, heiß wie ein Stück glühender Kohle. Ihre Totenkopfschwärmer, die bisher ruhig an den Wänden und auf dem Bett gesessen hatten, flatterten erschrocken auf. Die Zorya auf dem Bett kümmerte sich nicht darum. »Du gehörst mir allein«, flüsterte sie mit dem Herzschlag in ihrer Hand. Dann wanderte ihr Blick langsam zum Feuer.
    Summer schreckte aus ihrem Halbschlaf hoch. Fröstelnd, aber zum ersten Mal völlig klar und ohne eine Spur von Fieber. Habe ich sein Herz gestohlen, weil er Indigo ist? Damit er nicht sterben kann, selbst wenn ich ihm den Kuss der Zorya gebe? Seide knisterte neben ihr, als Beljén sich umdrehte und ihre Wange an Summers Schulter schmiegte.
    »Schnee«, murmelte ihre Freundin im Schlaf. »Feuer … Indigo.«
    Hat Beljén es ebenfalls gesehen? Sie verbannte das, woran sie sich eben erinnert hatte, zurück in die Dunkelheit und blickte sich voller Angst um. Zehn Zorya zählte sie auf Anhieb, alle schliefen ruhig und tief. Einzig ihre Mäntel hoben und senkten sich bei jedem Atemzug, ein fahles Leuchten ging von ihnen aus. Nur Beljén regte sich wieder und murmelte, als würde sie immer noch etwas sehen, das den anderen im Raum verborgen blieb. Summer dachte nicht lange nach, sie beugte sich über sie und küsste sie sanft auf die Augenlider. »Vergiss diesen Traum«, flüsterte sie ihr ins Ohr.
    Und zu ihrer eigenen Überraschung entspannten sich Beljéns Züge und ihr Atem wurde ruhig.

    Ich bin tatsächlich wie Anzej , dachte Summer halb entsetzt,

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