Ascheherz
festschnallte.
»Loved?« Er hielt inne und wandte sich wieder zu ihr um.
»Sag mir die Wahrheit. Hast du mich … nur deshalb von ihm weggeholt? Damit du mich dorthin bringen kannst, wo ich mich erinnere?«
Im ersten Moment sah es so aus, als würde er wütend werden, so fassungslos starrte er sie an. Und dann überraschte er sie mit einem spöttischen Lachen und erinnerte sie daran, dass sie ihn auch für seinen hinterhältigen Humor liebte.
»Nein«, meinte er knapp. »Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich nur einen einzigen Grund dafür.« Er grinste. »Ich kann nicht zulassen,
dass du einen anderen küsst! Du bist mein Mädchen, vergiss das nicht.«
Diesmal nahm Loved keine Rücksicht auf das Pferd. Wenn Summer hinter ihm auf dem Rücken des Falben saß, schwitzte das Tier vor Nervosität und lief, als ginge es um sein Leben. Sie ritten in Richtung Südosten, über verlassene Schlachtfelder, auf denen sich Krähen in Scharen um die frischen Gräber sammelten. Am dritten Tag wurde der Weg zu steil und felsig und Loved ging dazu über, das Pferd am Zügel zu führen.
»Bleib dicht bei mir«, sagte er zu Summer, als sie vor einem schmalen Durchgang standen. »Und sag mir, wenn du ein Federzeichen an einem Baum entdeckst.«
Sie betraten eine andere Welt. Ein Labyrinth voller Schleichwege, Pässe und Wälder, die so dicht und unzugänglich waren, dass der Krieg sie unberührt gelassen hatte. Staunend lernte sie in diesen Tagen einen ganz anderen Loved kennen. Einen Mann, der sich in der Wildnis so sicher bewegte, als sei er ein Teil von ihr. Und der ihr an den Abenden, wenn sie in ihrem Lager in einer Höhle oder unter Bäumen eng umschlungen auf Fichtenzweigen lagen, Geschichten vom Nordland erzählte, um sie die Zorya vergessen zu lassen. Der Schock und die Enttäuschung saßen immer noch tief. Sobald sie die Augen schloss, sah sie Beljén vor sich. Sie träumte von Anzej, der sie küsste, und von Lady Mar, die sich über sie beugte und ihre Knochenhand auf Loveds Brust legte. » Geliehene Zeit!«, raunte sie.
»Hast du wieder von ihnen geträumt?«, fragte Loved, als er sie aus einem dieser unruhigen Träume weckte. Sie konnte nur nicken. Und ertrug es kaum, die Leere in seiner Brust zu hören.
»Schlaf weiter«, sagte Loved. »Ich halte die Träume fern.«
Und während sie die Augen schloss, fragte sie sich, wann sie sich wieder unmerklich daran gewöhnt hatte, wie ein Mensch müde zu werden und zu schlafen.
Noch bevor sie die Augen öffnete, wusste sie, dass sie nicht mehr allein waren. Ein Zweig knackte. Ein Zischen ganz in der Nähe. Anzej? Sie schoss hoch und starrte mit aufgerissenen Augen auf den Höhleneingang. Sie erschrak bis ins Mark, als sie einen trockenen Knall hörte. Funken stoben in die Höhe und verloren sich im Nachthimmel. Loved hatte direkt vor der Höhle ein Lagerfeuer entfacht. Seine Silhouette zeichnete sich dunkel vor den Flammen ab. Und als die Flammen wieder in sich zusammenfielen, sah sie weitere Gesichter im Schein: Tierläufer. Zwei schwarzhaarige, erstaunlich schöne Mädchen mit den dunklen Augen von Raubtieren und ein älterer Mann, der mit seinen geschmeidigen Bewegungen und dem Blau seiner Augen so sehr an eine Schneekatze erinnerte, dass Summer sich einbildete, er sei halb Mensch, halb Tier. Sie trugen Fellmäntel und Stiefel und hatten vom Feuer gerötete Gesichter. Als Summer zum Höhleneingang trat, verstummte das Gespräch und alle wandten sich ihr zu.
»Sie sieht ja wirklich aus wie ein Mensch«, flüsterte das ältere Mädchen dem Mann zu. Die andere junge Frau lachte. Sie trug einen Mantel aus Bärenfell, der ebenso schwarz war wie ihr langes Haar. »Sag ihr, sie kann ruhig näher kommen«, sagte sie zu Loved. »Wir beißen nicht.«
»Sag es ihr selbst. Sie versteht eure Sprache. Um genau zu sein, versteht sie jede Sprache.«
Diese Nachricht schien ihnen nicht zu gefallen. Summer entging nicht, wie sie sich innerlich sofort zurückzogen. Ernst geworden, musterten sie Summer, als würden sie abschätzen wollen, ob sie Freund oder Feind war. Genau wie Dajee .
Sie versuchte sich an einem gewinnenden Lächeln und ließ sich neben Loved am Feuer nieder. »Ich bin Summer«, sagte sie.
»Soquad«, brummte der Mann. »Und das sind meine Töchter, Kilja und Pala.« Summer betrachtete die helle Haut dieser Menschen, die glatten Züge, und stellte sich mit einem Frösteln die andere Seite ihres Wesens vor. Sie schienen Summer nicht weiter zu beachten, aber jedes
Weitere Kostenlose Bücher