Ascheherz
Mal, wenn sie den Kopf hob, sah sie die schwarzen Augen der Mädchen auf sich gerichtet. Ihre Nasenflügel bebten, als würden sie wittern. Und Summer fragte sich, ob sie sie vielleicht deshalb nicht mochten, weil sie wie die Tiere ihre Nähe nicht ertrugen. Für einen flüchtigen Moment konnte sie nicht anders, als sich nach der Gesellschaft der Zorya zu sehnen, zu denen sie nie wieder gehören würde. Und als hätte dieser Gedanke sie herbeigerufen, erschienen die Totenkopfschwärmer wieder vor ihr. Tanzten direkt im Feuer, ohne zu verbrennen, als wollten sie sie daran erinnern, wer sie immer noch war.
Der alte Mann klatschte auffordernd in die Hände. »Hast du uns nicht versprochen, für uns zu singen?« Loved blitzte Summer ein Lächeln zu und begann zu ihrer Überraschung damit, ein Lied zu singen, das sie nur zu gut kannte. »Ich und du im Kartenhaus …«
Und sie erinnerte sich an die Kammern der Winde und lächelte über dieses besondere Geschenk. Er hatte eine klare Stimme mit einem energischen Klang, den Summer als Schwingung auf der Haut und tief im Zwerchfell fühlen konnte. Er sang die Worte mit genau der richtigen Ironie und ließ doch die Zartheit in den Zeilen
spürbar werden. Sein Gesicht wirkte im Feuerschein weich und gleichzeitig auf eine herbe, fremde Weise schön. Er ist glücklich , dachte Summer fasziniert. Und wenn ich ihn jetzt zum ersten Mal sehen würde, ich würde mich wieder hoffnungslos in ihn verlieben. Doch offenbar war sie nicht die Einzige. Die Mädchen beobachteten ihn mit strahlenden Augen. Und es lag ein Flirren in der Luft, Vibrationen zwischen den Blicken, ein Lächeln, das die Schwarzhaarige Loved schenkte und das er ihr flüchtig zurückgab.
Die Wärme glomm nur noch tief im verkohlten Holz, als die Tierläufer verschwanden und sie sich in die Höhle zurückzogen. Loved trunken von den Liedern, Summer mit einem seltsam leeren Gefühl in der Brust, das ihr die Laune verdarb.
»Ich habe ihnen das Pferd gegeben«, erklärte Loved. »Dafür bekommen wir morgen vier oder fünf Felle und einen Mantel für mich.« Er seufzte. »Tja, im Gegensatz zu dir kann ich erfrieren. Und die Winterstürme stehen uns erst noch bevor.«
Behaglich streckte er sich auf den Zweigen aus und rückte dann ein Stück zur Seite, um ihr Platz zu lassen. Doch sie setzte sich ein Stück entfernt von ihm hin.
»Du bist so vertraut mit den Tierläufern, als würdest du zu ihnen gehören.«
»Na ja, diese drei kennen mich vom Hinweg zu Lord Teremes’ Lager. Ihnen verdanke ich, dass ich schnell genug sein konnte. Und außerdem war ich lange Zeit ein Teil der Stämme. Ich kehre immer wieder ins Nordland zurück. Ich weiß nicht, warum, es zieht mich hierher.« Er seufzte und griff nach dem Armeerucksack,
legte ihn sich als Kopfstütze zurecht. Weißer Nebelatem trieb vor seinem Gesicht.
»Vielleicht, weil du hier glücklich bist?«
Er lachte. »Ich bin immer glücklich, wenn ich singe. Aber du hast recht. Die Tierläuferberge sind so etwas wie ein Zuhause geworden.« Er wurde ernst und betrachtete sie lange. »Wir können auch hierbleiben, bis alles vorbei ist.«
»Was?«
»Sieh mich nicht so entsetzt an. Wäre das so schlimm? Sie haben mir angeboten, dass wir beim Stamm überwintern können. Ich dachte nur … wenn du nicht zum Fjord willst.«
»Damit du den Mädchen den ganzen Winter über schöne Augen machen kannst?« Die Worte waren ihr herausgerutscht und sie schalt sich sofort dafür. Andererseits ärgerte sie sich maßlos, besonders über das Grinsen, das jetzt auf seinem Gesicht erschien.
Genüsslich langsam verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und überkreuzte lässig die Beine.
»Eifersüchtig, Frostfee?« Er hob die Brauen. »Das gefällt mir!« Das Grinsen wurde breiter.
Summer schoss das Blut in die Wangen.
»Mindestens so eifersüchtig wie du«, antwortete sie kühl. »Du wolltest mich gleich umbringen, nur weil ich Finn küssen wollte! Wie viele Tierläufermädchen hast du denn schon geküsst?«
»Vermutlich genauso viele wie du junge, hübsche Schauspieler«, kam es mit trägem Spott zurück. »Jede Woche eine andere, um genau zu sein. Mal sehen, ein Jahr hat zweiundfünfzig Wochen. Das ganze mal zweihundert …«
Er brach in Gelächter aus, als sie hochschnellte und sich auf ihn stürzte. »Au!«, schrie er, als sie ihm einen Schlag in die Rippen
versetzte. »Ich mache es ja wieder gut. So viele Nächte und Küsse, bis meine Schuld abgearbeitet ist,
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