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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Fesseln raubten ihr den Verstand. Im Schatten sah sie, wie er das Schwert hob, und schloss die Augen. Ein paar Atemzüge später löschte die Schneide, die durch ihren Flügelmantel fuhr, auch die letzten Erinnerungen aus.
    Das ist alles? Sie starrte immer noch auf den Richtplatz, doch das war alles, was sie sah. Aber Lady Tod sagte, das Schwert kann es nicht gewesen sein. Und ich weiß, dass Loved es nicht war. Es war
Indigo. Sie rief sich Indigos Gesicht ins Gedächtnis, spielte die Szene ihrer Erinnerung wieder und wieder durch. Aber es passte nicht.
    Sie zuckte zusammen, als Loved ihr die Hand auf die Schulter legte. »Erinnerst du dich? An … Indigo?«
    Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein! Er kommt überhaupt nicht darin vor.«
    Er ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. »Komm«, sagte er und schenkte ihr ein Lächeln. »Lassen wir die Ruine. Ich zeige dir den Ort, an dem wir glücklich waren.«
    Hand in Hand brachten sie den abschüssigen Hang, der im Bogen nach links von der Ruine wegführte, hinter sich. Früher mochte hier ein Weg gewesen sein, aber im Lauf der Jahrhunderte hatte die Natur das Joch aus Wegsteinen und zurechtgestutzten Bäumen und Büschen abgeschüttelt. Trotzdem erkannte Summer die parzellenartige Struktur des alten Winterbaumhains sofort. Er lag weiter unten, gut versteckt auf einem zweiten Plateau, eingebettet zwischen schroffen Felswänden. Von der Anhöhe aus war der Hain nicht sichtbar, erst als sie die Felsen ein ganzes Stück umrundeten und von der anderen Seite wieder ein Stück bergauf kletterten, kamen die Bäume in Sicht. Früher waren es Hunderte gewesen, nun fehlte auch an dieser Stelle ein Stück des Felsens. Trotzdem war der Anblick überwältigend: ein Meer aus gedrillten Zweigen und knorrigen Stämmen. Wurzeln, die sich an den Abhang klammerten. Und Abertausende von blauen Sternen vor dem Weiß und dem Kobaltblau der See.
    »Komisch«, sagte Loved. »Ich sehe keinen einzigen Schneefalter. Alles müsste voll von ihnen sein. Genau um diese Jahreszeit schlüpfen sie.«
    »Das Blumenhaus!« Summer deutete auf eine sichtgeschützte
Kuhle, die zu geometrisch war, um natürlich entstanden zu sein. »Hier stand es. Ein winziger Palast, acht Zimmer hatte er nur. Und er war mit blauen Fliesen und Blattgold verziert, so wie die Häuser im Süden.« Während sie sprach, erstand das Gespenst des Miniaturpalastes vor ihren Augen.
    Loved nickte. »Er war Indigos ganzer Stolz. Seine Arbeiter hat es zwei Jahre und einige Leben gekostet, um das Fundament so tief in den Fels zu setzen. Du hast darin gewohnt. Indigo hat ihn dir überlassen. Wir beide nannten ihn nur unser Kartenhaus. Ganz unten, im Gewölbe, hast du dir einen Schlafraum einrichten lassen.«
    Um mich vor Lady Mar zu verkriechen? , dachte Summer mit einem flauen Gefühl.
    »Und egal, was Indigo tat, er hielt sich immer einen Fluchtweg offen. Er war besessen von der Idee, jemand könnte versuchen, ihn umzubringen. Sogar mir hat er nicht über den Weg getraut.« Loved ließ den Blick über das Gelände schweifen. »Deshalb hat er hier auch einen Maulwurfgang anlegen lasse. Das war mein Glück. So konnte ich nachts ungesehen zu dir gelangen. Komm mit!«
    »Loved? Hast du Indigo gemocht? Oder ihn nur gefürchtet?«
    Der Schatten, der in den letzten Tagen nicht mehr aufgetaucht war, legte sich wieder über seine Miene. »Als ich noch jünger war, habe ich ihn bewundert wie einen Vater. Ich war stolz darauf, ihm ähnlich zu sein. Und später … war er überzeugt davon, ich würde ihm gleichen. Aber obwohl wir dieselben Dinge liebten, war ich völlig anders als er. Er hat es nur nicht bemerkt. Und ich fürchtete mich davor, es ihn spüren zu lassen.«
    Er seufzte und strich sich unwillig das Haar aus der Stirn, als wollte er Indigos Gespenst vertreiben. »Sprechen wir nicht von
ihm«, sagte er. »Lass uns lieber nachsehen, ob der Eingang noch da ist.«

    Er war so gut versteckt, dass wohl niemand außer Loved ihn je wiedergefunden hätte. Er räumte eine Stelle zwischen zwei Felswinkeln von Steinen frei und nahm einen Klappspaten aus seinem Rucksack. Abwechselnd gruben sie, aber es wurde Abend, bevor sie in der halb gefrorenen Erde auf Holz stießen. Schwarze Mooreiche, die die Jahrhunderte überdauert hatte, ohne aufzuquellen oder zu modern. Loved holte eine Kapsel mit Sprengstoff aus dem Armeerucksack, aber in diesem Moment gelang es Summer, das rostige alte Eisenschloss mit dem Spaten zu zerschlagen. Mit einem

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