Ascheherz
Ihre brüchige Stimme vermischte sich mit dem Heulen des Windes. »Deshalb werde ich jetzt eine Weile aus dem Trümmerloch auf das Land schauen und nachdenken. Ich schätze,
ich werde für ein oder zwei Minuten ziemlich abgelenkt sein und nichts hören und nichts sehen. In dieser Zeit werde ich beschließen, die Wache zu rufen. Dann werden wir - die Wache und ich - über diese Treppe da nach oben gehen, die Türen aufbrechen und in das Rondell kommen, um Indigo vor dir oder wem auch immer zu beschützen. Und ob ich dich oder jemand anderen in den Kammern der Winde vorfinde - ich werde keinen Unterschied machen. Ich werde schießen.«
Ein leises Klicken ertönte. Summer öffnete die Augen. Nur Jola stand da und starrte Summer immer noch feindselig an. Moira hatte sich von ihr abgewandt. Durch die Öffnung in der Mauer wehte der Schneewind, Flocken fingen sich in ihrem Haar. Ihre rechte Hand schloss sich immer noch fest um die Waffe, die nun zu Boden zeigte.
»Danke für den Vorsprung«, flüsterte Summer so leise, dass Moira es nicht hören konnte. Dann rannte sie.
An manchen Stellen waren die Stufen geborsten. Wind strich winselnd durch die Ritzen und Spalten, und von oben verirrten sich einige Schneeflocken zu Summer herunter. Der nasse Stoff klebte ihr am Körper und sie zog die Jacke aus und kletterte keuchend, so schnell sie konnte, weiter. Ihre Falter umschmeichelten ihre Schultern und ihre tastenden Hände. Sie erreichte den Aufgang, der zum Wächterraum führte. Fast hätte sie erwartet, Tellus zu sehen, der hier Karten spielte. Aber seine Habseligkeiten waren verschwunden, ebenso der Tisch und das Regal. Vielleicht war er gefangen genommen worden. Oder - das hoffte sie - rechtzeitig geflohen.
Sie huschte zur Nische. Leere Kisten waren an der Wand gestapelt.
Sie musste sie wegräumen. Hastig fuhr sie dann mit den Fingerspitzen die Rille zwischen der getarnten Zarge und der Tür entlang auf der Suche nach dem versteckten Schloss. Der kleine Hebel hatte sich verkeilt und sie musste mit aller Kraft dagegenschlagen, bis er sich löste. Fieberhaft überlegte sie, wo sie den Sprengstoff anbringen würde, um das Schloss zu öffnen, als die bewegliche Wand zu ihrer maßlosen Überraschung nachgab. Vorsichtig drückte sie dagegen und stieß auf einen Widerstand. Erst als sie sich gegen die Tür stemmte, ließ sie sich zumindest so weit öffnen, dass sie sich durch den Spalt schieben konnte. Drinnen war es eisig. Und ihr bloßer Fuß stieß gegen etwas Kaltes. Und gegen … Leder? So schnell hatte sie ihre Taschenlampe noch nie hervorgeholt. Der blasse Lichtkegel fing eine Schulter ein. Und dann einen kahlen Kopf. Tellus! Er saß auf dem Boden, die Knie an den Körper gezogen, vornübergebeugt, als würde er schlafen. Doch er schlief nicht. Er musste sich beim Angriff in die Kammer geflüchtet haben. Summer schnürte es die Kehle zu. War es sein schwaches Herz gewesen? »Es tut mir so leid, Tellus«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. Ihr Schwarm zitterte vor ihr in der Luft.
Geh weiter! , drängte eine unbarmherzige, warnende Stimme. Du hast keine Zeit, Moira und die Wächter werden in wenigen Minuten bei Indigo sein!
Hastig wischte sie sich mit den Handballen die Tränen von der Wange. Dann griff sie nach der ersten Leitersprosse und zog sich hoch.
Bilder ihres Katzenlebens zogen an ihr vorbei, während sie höher und höher kletterte - das Theater, Finn, Mia. Das Schiff und Anzej. Tellus natürlich, der sich über einen Sieg beim Kartenspiel freute. Ein wenig tröstete es sie, dass eine Zorya bei ihm gewesen war.
Und dann: Loved. Ihn sah sie so, wie sie ihn vor wenigen Stunden verlassen hatte. Ahnungslos schlafend. Und glücklich. Die Verzweiflung wallte wieder in ihr auf. Ihn konnte sie nicht loslassen, und so nahm sie seine ganze Wärme, seine Augen, sein Lächeln und all die Stunden Ewigkeit mit und hielt sie fest. Nicht einmal Lady Tod kann mir all das nehmen.
Der Katzenschacht wurde immer schmaler, bis ihr Rücken schon an der Wand entlangschrammte. Endlich, nach einer Ewigkeit, stieß sie auf die Klappe. Sie erklomm die letzte Sprosse und duckte sich, drückte ihre Schulter gegen den Stein. Der Riegel war noch mit dem Holzpflock verkeilt, so wie sie ihn bei Loveds Befreiung zurückgelassen hatte. Sie musste gegen den Stein drücken und mit dem Griff der Taschenlampe mit aller Gewalt gegen das Holzstück schlagen, bis es sich endlich löste. Sie keuchte bereits, doch jetzt verlor sie keine Zeit
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