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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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mehr. Mit aller Kraft stemmte sie sich mit ihrem Nacken und ihrer rechten Schulter von unten gegen die Platte. Schmerzhaft tief drückten sich ihre Sohlen in die Sprosse der Metallleiter. Sie biss die Zähne zusammen, schob die Klappe ein winziges Stück hoch und lauschte angestrengt. Ihre Totenkopffalter landeten auf den Sprossen und an der Wand und verharrten, ohne sich zu bewegen. Durch den winzigen Spalt drang ein seltsam vertrautes Geräusch - ein unregelmäßiges Klappern. Und der Streifen Licht, der durch den winzigen Spalt fiel, zitterte, als würde etwas Flatterndes eine Lichtquelle verdecken. Falter! In den Gefängnisräumen? Summer keuchte, ihre Muskeln brannten und ihre Beine zitterten vor Anstrengung, als sie mit äußerster Beherrschung die Klappe noch ein Stück weiter öffnete, bis sie einen Blick durch den Spalt werfen konnte. Jetzt erwachte ihr Schwarm wieder zum Leben, strömte durch die Lücke wie ein Rudel Hunde, das endlich die Spur aufgenommen hatte. Für einen
Augenblick sah sie nichts als dunkle, staubige Flügel und tanzende Totenköpfe, dann war die Sicht wieder frei.
    Kerzenlicht brach sich in riesigen gläsernen Kästen - wie Aquarien, nur dass sich unzählige Falter darin tummelten. Im Gegenlicht erinnerten sie an filigrane Skulpturen aus Schnee und blauem Eis. Schneefalter! Es mussten Tausende sein. In manchen Kästen lagen nur schneeweiße Kokons. Verpuppte Schneefalterraupen, die darauf warteten, bald zu schlüpfen. Indigo hatte sie also gesammelt! Deshalb hatten Loved und sie keinen einzigen dieser Schmetterlinge zu Gesicht bekommen. Hatte Indigo sie alle einfangen lassen? Doch von Indigo selbst war weit und breit keine Spur.
    Summer biss die Zähne noch fester zusammen und ließ die Klappe nach hinten fallen. Mit einem viel zu lauten Schaben wurde sie von der Wand gebremst. Sie kletterte durch das quadratische Loch und sah sich auf allen vieren kauernd genauer um. Es war kein Gefängnis mehr, das, was sie sah, glich eher einem … Labor? Einige Zwischenwände waren entfernt worden, sodass sie in die ehemaligen Kammern der Winde blicken konnte. Die durchbrochenen Fenster, durch die sonst der Wind sein Heulen schickte, waren mit Holzplatten verschlossen. Es war fast unerträglich warm, als würden die vielen Falter durch ihr hektisches Flattern Hitze erzeugen. Tische mit Gerätschaften standen überall: Haken, Seile, Fangnetze.
    Summer richtete sich vorsichtig auf und schlich an der Wand entlang. Verwundert betrachtete sie bauchige Gläser, gefüllt mit einem kristallinen Staub. Pinsel lagen daneben. Und dort, in einer Wanne, Tausende von toten Faltern und Flügeln. Sie glitzerten nicht mehr. Matt wie verwelktes Laub lagen sie da. Endlich begriff sie. Der Flügelstaub! Tors Indigo gewann hier den Staub der Schneefalter.

    Auf einem Tisch Flügelstaub und mittendrin ein Abdruck - als hätte Indigo etwas eingestäubt. Und Summer musste nicht lange raten, was es war. Zu deutlich zeichnete sich im Staub der Umriss eines langen, gebogenen Messers ab.
    Ihre Geisterfalter flatterten aufgeregt über dem Tisch, ohne dass sich ein einziges Staubkorn regte. Dann schwärmten sie abrupt nach rechts. Jetzt hörte sie es auch: ein Schleifen, in einer der Kammern, die noch Wände hatte.
    Auf Zehenspitzen trat sie zurück zur Wand und schlich in ihrem Schatten dem Schwarm hinterher, glitt auf die Tür der zweiten Kammer zu. Sie stand offen. Und jetzt drang auch ein Flimmern hervor. Weißlich war es. Mit Schattenflecken. Mit einem Mal war ihr Mund ganz trocken und ihr Herz raste. Eine Zorya! Und sie lebte noch.
    Sie zwang sich zur Ruhe, schob sich zur Tür und warf einen Blick hinein. Und musste die Hand vor den Mund schlagen, um nicht vor Qual und Entsetzen aufzuschreien.
    Auf dem Boden entdeckte sie die leblosen, fahlen Fetzen eines Flügelmantels. Nur noch ein Abglanz der einstigen Pracht. Goldorange mit kleinen schwarzen Tupfen. »Nein«, flüsterte sie. »Nein, bitte nicht!«
    Sie wagte den Blick nicht zu heben und musste sich dazu zwingen. Die Reste des abgeschnittenen Mantels lagen am steinernen Sockel eines Metallklotzes. Und darauf…
    »Beljén!« Summer formte den Namen nur mit ihren Lippen, kein Laut kam aus ihrer Kehle.
    Ihre Freundin war grau, alle Farbe war aus ihrem Körper gewichen. Nur das kastanienbraune Haar bildete einen grotesken, lebendig wirkenden Gegensatz zu dem leblosen Körper. Beljén lag auf der Seite. Nein, es war nicht länger Beljén, sondern nur
noch eine Hülle. Aus

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