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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Stelle hervorrief. Verwundert rollte sie sich auf den Rücken
und tastete nach der schmerzenden Stelle. Aus Gewohnheit wollte sie sich das lange Haar aus der Stirn streichen - und erschrak, als sie entdeckte, dass da nur noch kurze Strähnen waren.
    Mit einem Mal war sie hellwach und riss die Augen auf. Schlagartig fiel ihr alles wieder ein - das Theater, Finn, der Ledergeruch. Das Messer und … die Augen. Seine Augen!
    Und sie selbst lag nun auf einer muffig riechenden Matratze in einer Arbeiterwohnung. Das Trugbild der Raupen war verschwunden. Um sie herum waren nur kahle Wände mit schäbigen Tapeten, die einmal blau gewesen sein mochten. Das Sonnenlicht schien gelbgolden in den Raum und ließ die ausgebleichten Wände grünlich wirken. Sie stutzte.
    Sonnenlicht?
    Jetzt schoss sie hoch, was ihre gezerrten Muskeln mit einem empörten Reißen quittierten. Die Balkontüren sind doch fest verschlossen!
    Aber die Tür stand weit offen. Und draußen, auf dem Boden des Balkons, saß jemand. Es war eine schlanke Gestalt, halb von ihr abgewandt. Eindeutig ein Mann.
    Der Schreck rieselte ihr glutheiß bis auf die Knochen, als bestünde ihr Fleisch aus Schnee. Sie unterdrückte ein Keuchen und tastete nach dem Klappmesser.
    Der Fremde hatte die Ellenbogen locker auf den Knien abgestützt und betrachtete durch die halb zerfallene Balkonbrüstung die Nachbarhäuser.
    Summer schielte zur Wohnungstür. Die Riegel waren immer noch vorgeschoben und auch die Tür zum Badezimmer war verbarrikadiert. Keine Möglichkeit also, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen. Aber wie war der Kerl ins Zimmer gekommen? Von außen auf den Balkon geklettert? Oder war er etwa die ganze Zeit
über hier gewesen? Die Vorstellung, dass sie ihm im Schlaf schutzlos ausgeliefert gewesen war, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Der Mann war offensichtlich jung. Er trug seltsame Kleidung. Sie war von einem schmutzigen Grau; der raue Stoff lag am Körper an wie eine zweite Haut, nur am Rücken warf er einige seltsame schräge Falten. Dennoch konnte sie jeden Rückenwirbel und jeden Muskel erkennen. Doch noch ungewöhnlicher war das lockige Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel. Es war ebenfalls grau.
    Unendlich vorsichtig hob Summer auch noch das Stuhlbein auf. Unbegreiflich, dass er diese Waffe in ihrer Reichweite hatte liegen lassen. Die vernünftige Stimme riet ihr dazu, ihn niederzuschlagen, bevor er merkte, dass sie wach war. Aber sie hatte noch nie jemanden angegriffen, sie wusste nicht einmal, wie fest sie zuschlagen müsste, und alles in ihr sperrte sich dagegen, jemanden zu verletzen. Ein, zwei ratlose Sekunden huschten vorbei, Zeit genug für tausend Möglichkeiten, die durch ihre Gedanken blitzten wie flackerndes Projektorlicht. Vielleicht lebte der Mann hier und sie war in sein heimliches Quartier eingedrungen? Möglicherweise kletterte er jede Nacht von einem Nebenbalkon oder vom Dach aus in diese Wohnung. In diesem Fall konnte sie vermutlich froh sein, dass er nicht sie niedergeschlagen hatte. Wenn er sich hier versteckte, war es allerdings dumm von ihm, die Balkontür offen stehen zu lassen.
    Lautlos erhob sie sich und zog sich im Bogen zur Badezimmertür zurück. Wenn sie schnell war, konnte sie die Tür freimachen und ins Bad schlüpfen, bevor er auch nur aufspringen konnte. Doch dazu musste sie eine Waffe loslassen, um eine Hand freizuhaben. Sie entschied sich dafür, das Messer zu behalten, und legte das Stuhlbein behutsam auf dem Boden ab, bevor sie auf Zehenspitzen weiterschlich.

    Er rührte sich immer noch nicht, und für einen surrealen Moment fragte sie sich, ob er überhaupt lebte oder ob sie lediglich auf die Statue eines sitzenden Menschen blickte.
    Genau da wandte er ohne besondere Hast den Kopf. Ihr wurde klar, dass er schon eine ganze Weile geduldig darauf wartete, dass sie aufwachte. Malachitgrüne Augen blickten sie aus einem staubverkrusteten Gesicht an. Eine Traurigkeit spiegelte sich darin, die sie gegen ihren Willen anrührte.
    Mit einer fließenden Bewegung stand er auf und drehte sich dabei zu ihr um. Und zu ihrer Überraschung hob er nun die Hände, als wollte er sie beruhigen. Jetzt hätte sie vielleicht noch ins Bad entkommen können, doch auch diese Gelegenheit verstrich. Stattdessen umklammerte sie nur das Messer und starrte ihn an wie einen Geist.
    In ihrem Zwerchfell war ein Gefühl, als würde sie fallen. Die Wirklichkeit drohte ihr zu entgleiten wie am Abend zuvor. Ihre Augen sahen immer noch einen

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