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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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rücksichtslos weiter, boxte und trat, bis sie schwer atmend vor dem bulligen, finster blickenden Mann stand, der wie der Türhüter zum Jenseits vor der Waggontür wachte.
    »Eine Karte nach Tenar!«, rief sie ihm zu und streckte ihm eine Handvoll Geldscheine hin. Dann erst fiel ihr auf, dass nicht weit von der Waggontür zwei Leute von der Stadtpolizei stehen geblieben waren und sie missbilligend beobachteten. Ein Mann und eine Frau. Die Frau - älter, aber zweifellos sehr schnell, wenn es darauf ankam - musterte Summer mit einem sachlichen Interesse. Und jetzt kam sie tatsächlich direkt auf den Waggon zu!
    »So eilig?«, rief sie Summer zu. »Bist du auf der Flucht, oder warum drängelst du dich hier so unverschämt vor?«
    Die Leute starrten Summer an. Vorübergehende verlangsamten ihre Schritte und sahen neugierig zu ihr herüber. Blitzschnell versuchte sie, die Frau, die nun vor ihr stehen blieb, einzuschätzen. Sie sprach laut und legte offenbar Wert darauf, sich in ihrer Überlegenheit zu sonnen. Instinktiv verkroch sich Summer in ihrer neuen Hülle, zog die Mundwinkel etwas nach unten, ein verzagter, harter Gesichtsausdruck, der sie älter wirken ließ. Dann schlug sie verschüchtert die Augen nieder.
    »Ich wollt nich drängeln, aber ich … ich muss heim«, murmelte
sie entschuldigend. »Meine Saison ist vorbei. Meine Mutter is krank und wartet auf Geld. Ich hatte Angst, dass ich kein Platz mehr kriege.«
    »Aha. Und wo hast du gearbeitet?«
    »Am Hafen, Fischkontor Nord.«
    »Sprich lauter! Und sieh mich an, Mädchen.«
    »Fischkontor. Nord.«
    »Ziemlich saubere Fingernägel für eine Arbeit im Hafen.«
    »Is so, wenn man den ganzen Tag Fische ausnimmt«, nuschelte Summer. »Viel Wasser.«
    Die Frau zeigte ein überhebliches Lächeln und wechselte mit dem Mann einen müden Blick. Er schnupperte in Summers Richtung. »Riechst ja gar nicht nach Fisch.«
    »Nich mehr, zum Glück«, erwiderte Summer mit einem verlegenen Lächeln und wischte sich mit dem Ärmel über die Nase.
    Der starrende Blick der Frau machte sie nervöser als die Fragen.
    »Die Kleider gehören nicht dir«, meinte die Frau nun. »Sie sind zu groß.«
    »Sind die von mein’ Bruder.« Sie senkte ihre Stimme noch mehr, als wäre ihr die Armut unendlich peinlich. »Da wo ich herkomme, wird das so gemacht.«
    »So, so. Und wo kommst du her?«
    »Kamsí, ein Dorf im Osten. Ich fahr bis Tenar. Und von da sind’s noch drei Tage Fußmarsch in die Berge.«
    »Geht’s jetzt bald weiter?«, schrie jemand von hinten. »Der Zug wartet nicht!«
    »Sie ist es nicht«, sagte der Mann. »Reine Zeitverschwendung.«
    Sie? Summer fröstelte. Sie kontrollierten also die Fahrgäste.
    Im Stillen flehte sie darum, dass die Frau auf ihren Partner hören
und sie gehen lassen sollte. Aber die Polizistin schüttelte den Kopf und winkte Summer aus der Reihe zur Seite. Summer biss sich auf die Unterlippe. Mit weichen Knien gehorchte sie, doch sie sah sich bereits aus den Augenwinkeln nach einem Fluchtweg um. Schlechte Karten. Und viel zu viele glotzende Gesichter. Sie wusste nicht, wovor sie sich mehr fürchtete, vor den Polizisten oder davor, in der Menschenmenge die hasserfüllten Augen aus ihrem Traum zu entdecken. Jetzt brach ihr endgültig der Schweiß aus.
    »Was hast du in deiner Tasche?«, wollte die Frau nun wissen. Siedend heiß fielen Summer die abgeschnittenen Haare ein. »Da ist nur Essen drin - für die Reise.«
    »Na komm, zeig schon her!«
    Im Rücken spürte sie die verächtlichen Blicke der anderen Wartenden. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Kann ich wirklich nich machen«, erwiderte sie den Tränen nahe. »Wenn die anderen es sehen, klauen sie’s mir im Zug.« Geräuschvoll zog sie die Luft durch die Nase hoch.
    Die Bewaffnete kniff die Augen zusammen. Ihre Hand lag locker an ihrer Waffe.
    »Lass sie schon, Khadra«, knurrte der zweite Polizist voller Ungeduld. »Sie ist es garantiert nicht. Die Beschreibung passt nicht mal annähernd auf sie. Langes rotblondes Haar, Schauspielerin, hübsch soll sie auch sein. Das hier ist nur ein gerupftes Huhn.«
    »Aber sie reist allein. Sie hat es verdammt eilig, das Alter passt, und …« - die Frau deutete auf Summers Stirn - »… rotes Haar hat sie auch.«
    Summer griff nach ihrem Kopftuch. Tatsächlich, es war im Gewühl ein wenig verrutscht. Zum Glück verbarg es noch die Schläfenwunde, aber ein paar kurze Strähnen lugten hervor. Die Sekunde
zwischen Freiheit und Verderben schwebte zwischen ihr

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