Ascheherz
nur und das Kartenhaus bricht.
Küsse sind ewig - die Liebe nicht.
Neu misch ich die Karten und teile sie aus,
und denke an uns im Kartenhaus.
Es war ein lustiges Lied, und mit jeder Faser wusste sie, dass sie es oft gesungen hatte, lachend und voller Übermut. Doch nun stimmte es sie so traurig, dass sie zu weinen begann.
Sie erwachte mit rasendem Herzen, trauernd um das Theater und voller Sorge um Mort, Finn und die Truppe. Die Tränen hinterließen erstaunlich kühle Spuren auf ihrem Gesicht.
Sie war noch im Halbschlaf, obwohl sie die Kammer wahrnahm und Anzejs Herzschlag hörte, weil ihr Kopf an seiner Schulter lag. Dort, wo sich ihre Hand um die Wölbung von Anzejs Schulter schloss, fühlte sie unter ihren Fingerspitzen den letzten Ausläufer einer langen, dünnen Narbe. Das Seltsame war, dass allein schon der Gedanke an die Misshandlung ein Echo auf ihrer eigenen Haut hervorzurufen schien. Als trüge sie selbst die Wunden, verspürte sie die Ahnung eines Brennens auf ihrem Rücken, eiskalt und heiß zugleich. In ihrer Nase fing sich der Geruch von Eisen. Und eine Verschiebung in der schattigen Dunkelheit über ihr ließ sie genauer hinsehen. Jetzt wurde ihr klar, dass sie noch nicht wach sein konnte:
Über ihr wallte ein Traumbild, das sie bisher noch nie gesehen hatte und das sie im ersten Moment eher faszinierte als erschreckte: eine Frau in Schwarz. Sie schwebte direkt über dem Bett, als würde sie auf der Luft liegen, nur eine Umarmung entfernt. Dichte kupferfarbene Locken verdeckten ihr Gesicht, schwarze Taftseide umwehte sie. Summer bildete sich ein, den Luftzug zu spüren, und
fröstelte. Lady Tod? , dachte sie. Hat Ana das gemeint? Ist mir der Blutmann schon so nahe? Ein Fenster klapperte und ein Windstoß wehte das Haar aus dem Gesicht der Erscheinung, als sei es ein Theatervorhang. Summer hätte vor Schreck aufschreien müssen, aber sie lag nur mit einem kalten Erstaunen reglos da und blickte in die schattigen Augenhöhlen eines Totenschädels. »Du weißt, ich töte dich, wenn du versagst«, raunte die Gestalt.
Im nächsten Augenblick verwehte das Traumbild, zum Abschied spürte Summer nur einen scharfen Kuss auf der Stirn, eisig und hart wie die Berührung einer Doppelklinge. Anzej stöhnte im Schlaf so qualvoll auf, als hätte auch er den Kuss des Todes gespürt.
Summer rang nach Luft und fuhr hoch. Das Zimmer war leer. Doch erst als ein Windstoß ihr wie eine Knochenhand durch das Haar strich, erkannte sie, dass sie zumindest den Wind nicht geträumt hatte. Das Fenster stand weit offen, die Vorhänge bauschten sich.
»Anzej!« Sie rüttelte ihn an den Schultern, bis er schlaftrunken hochfuhr. »Hast du das Fenster geöffnet?«
»Nein«, antwortete er zu Summers Erstaunen in ihrer Sprache. Er wollte noch etwas sagen, doch Summer legte ihm warnend die Fingerspitzen auf die Lippen und lauschte.
Regen patschte draußen in den schlammigen Pfützen. Er hatte etwas Regelmäßiges, aber dazwischen - in der Ferne - störte ein anderer Takt diesen prasselnden Gleichklang. Summer horchte noch atemloser. Dieses Geräusch hatte sie erst einmal in ihrem Leben gehört, als sie Morts Tigerstute auf der Bühne zu nahe gekommen war. Das Tier hatte gescheut und einige polternde Sätze in Richtung Tür gemacht. Das, was sie hörte, war Galoppschlag. Der Klang einer anderen Zeit. Natürlich musste es nichts bedeuten.
Hier im Niemandsland gab es möglicherweise noch Pferde, vielleicht war es für Reisende die beste Möglichkeit, vorwärtszukommen. Und dennoch schwangen Eisen und der Geschmack von bitterem Schnee in diesem Hufschlag mit.
Sie glitt aus dem Bett, schnappte sich in der Dunkelheit die Kleider von den Pfosten und begann sich anzuziehen. »Wir müssen weiter«, flüsterte sie Anzej zu.
Falls er sich fragte, ob sie nun endgültig verrückt geworden war, verbarg er es gut. Er suchte wortlos seine Kleider zusammen und zog sich rasch an, während sie in fliegender Hast das Feuerzeug und die Kerze einsteckte und zur Tür stürzte. Nur um festzustellen, dass sie von außen verschlossen war.
»Verdammt! Diese Hexe hat uns eingesperrt!«
Als sie ein Platschen hörte, fuhr sie erschrocken zum Fenster herum, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Anzej sich einfach auf das Fensterbrett schwang - und sprang! Bevor sie Zeit hatte, Angst um ihn zu haben, erklang schon ein weiteres, lauteres Platschen, als er ein Stockwerk tiefer in der schlammigen Pfütze landete. Summer stürzte zum Fenster. Unter ihr
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