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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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fluchte im Stillen, doch dann waren sie schon auf der Wiese und es blieb ihr nichts weiter übrig, als die Flucht nach vorn anzutreten. Gemeinsam sprangen sie über einen Pfützengraben und huschten geduckt weiter, im Bogen um die Häuser herum. Inzwischen brannte in mehreren Fenstern Licht. Und als Summer aus den Augenwinkeln einen Blick zum Dorf warf, sah sie ein schaumbedecktes dunkles Pferd, das mit hängenden Zügeln im Regen stand. Irgendwo hinter dem Haus, nur wenige Meter entfernt … musste er sein. Summer duckte sich noch tiefer und bemühte sich, lautlos zu schleichen.
    Sie hatten Glück: Niemand kam hinter dem Haus hervor, nur das Pferd blickte beunruhigt zu ihnen herüber, als sie gefährlich nah am Haus vorbeihuschten, im Sichtschutz eines Lattenzauns weiterrannten und das Dorf endlich hinter sich ließen.
    Hier wurde das Gelände schnell steiniger und lud zum Stolpern ein. Das Gras wich Buschwerk und kleineren Gruppen von Bäumen. Erst als Summer schon Seitenstechen hatte und nach Luft rang, verschnauften sie kurz im Sichtschutz einiger Erdhügel und Felsbrocken. Endlich ließ Anzej sie los. Er keuchte ebenfalls vom schnellen Lauf, doch er war ganz und gar Konzentration. Vorsichtig spähte er zum Dorf hinüber. Mit einem flauen Gefühl betrachtete Summer ihn von der Seite. Ist er dumm oder sehr schlau? , fragte sie sich und rieb sich das Handgelenk. Das seltsame Kribbeln an ihrem Rücken, das die Berührung von Anzejs Narben hervorgerufen hatte, war verschwunden.

    »Wir müssen weiter«, wisperte sie Anzej zu.
    Doch er winkte nur ab und verharrte. Vielleicht lag es am Wind, dass die Stimmen sich immer mehr zu entfernen schienen? Nein, sie wurden tatsächlich leiser. Die Leute gingen nach Osten - genau in die Richtung, in die Summer gelaufen wäre.
    »Sie … jelankaj … suchen uns«, flüsterte ihr Anzej zu und schenkte ihr ein triumphierendes Lächeln. »Nicht hier. Dort!«
    »Na schön, Glück gehabt«, wisperte sie ihm zu. »Und was jetzt? Wo sollen wir hin?«
    Im Dämmerlicht des nahenden Morgens glänzten seine Augen dunkel. Seine Anspannung kehrte zurück, als er nachdachte. Er kaute auf seiner Unterlippe. Offenbar traf er gerade eine Entscheidung, die ihm ganz und gar nicht leichtfiel. Schließlich seufzte er und nickte, als wären die Stimmen, die sich in ihm stritten, widerwillig zu einer Einigung gekommen.
    »Toljan«, antwortete er entschlossen.
    »Dort, wo du herkommst?«
    Anzej legte warnend den Zeigefinger an die Lippen und Summer senkte sofort wieder die Stimme. »Ist das dein Ernst?« Sie kreuzte die Handgelenke. »Dort, wo sie dich gefangen genommen haben, dorthin willst du zurück? Mit mir?«
    Er nickte ernst und suchte so lange nach den richtigen Worten, dass Summer ihn am liebsten geschüttelt hätte.
    »Wir sind sicher … dort«, antwortete er schließlich. »Du und ich. Wir.«
    Wir. Summer schluckte. An seinem Blick erkannte sie, wie ernst es ihm war. Er nickte noch einmal und streckte ihr die Hand hin. Diesmal war diese Geste keine Bitte. Es war ein Versprechen.

das gegenteil von einsamkeit
    E s gab kaum einen Tag auf dieser Flucht, an dem Summer nicht glaubte, ihn irgendwo entdeckt zu haben.
    Und selten hielt sie es länger als ein paar Stunden am selben Ort aus. Als das Geld zur Neige ging, verkaufte sie ihr abgeschnittenes Haar an einen Friseur und tauschte ihre Kleider wieder einmal gegen eine neue Verkleidung ein. So reisten sie im Wechsel als Landstreicher, als Kaufleute oder Scherenschleifer, mal als Geschwister, mal als Liebespaar oder als Geschäftspartner. Von Ort zu Ort verwandelten sie sich wie Schlangen, die ihre Häute abstreiften.
    Anzej kannte die Namen der Städte und Dörfer ebenso wenig wie sie, aber instinktiv wie ein Zugvogel fand er den Weg in Richtung Norden, dem Meer entgegen. Summer kannte Anzej inzwischen bereits als Fliehenden, als Verbündeten und Freund. Nun lernte sie eine weitere Seite an ihm kennen: Seine Stimmungen wechselten manchmal so schnell wie das Wetter. Er konnte launisch sein und seine Ungeduld ließ auch Summer kaum zur Ruhe kommen. Dann gab es wieder Stunden, in denen er düster und unnahbar wirkte. An solchen Tagen stritten sie sich über Nichtigkeiten. Sie drohte ihm damit, alleine weiterzuziehen, und er konterte mit einem spöttischen Lachen, das Summer zum Fluchen brachte.

    Nachts aber hielten sie sich so behutsam umfangen, als seien sie aus Glas und könnten in den Armen des anderen zerbrechen. Anzej drängte sie niemals zu

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